Dr. Radomsky Coaching

dvct zertifizierter Coach
Mit 23 startete ich in meinen ersten Job, das Diplom in der Tasche. Frisch verheiratet, malerten Michael und ich unsere erste Wohnung unterm Dach. Terrakotta und weizengelb die beiden Mansardenzimmer, rostrot die Küche und weiß das WC eine halbe Treppe tiefer. Aus dem Küchenfenster reichte der Blick weit über die Dächer der alten Saalestadt, über denen sich im Winter der Rauch kräuselte.

Was ich damals noch nicht wusste: die nächsten 30 Jahre würde ich vor allem in der Zukunft leben. Jenseits der 300 ms Aufmerksamkeitsspanne, die wir „Jetzt“ nennen.

Zwei Kinder, Arbeit, Umzüge, Jobwechsel, Dienstreisen ins Ausland, später auch der Hausbau hielten mich in Trab.

Wenn ich früh in den Spiegel sah, ging ich in Gedanken bereits meine Aufgabenliste für den Tag durch.

Das Faschingskostüm für den Kleinen ausleihen, im Betrieb das Computerprogramm entwerfen, ein Problem mit Kollegen X. klären, den Bericht fertigstellen, frisches Brot kaufen, abends Elternversammlung beim Großen.

Kommt Dir das bekannt vor? Wenn wir das Jetzt nur undeutlich wahrnehmen, weil wir vor allem damit beschäftigt sind, was in den nächsten Stunden, Tagen und Jahren zu tun ist?

Oh ja – es gab auch Momente, in denen ich voll in der Gegenwart lebte.

Beim abendlichen Vorlesen, wenn sich die Kinder ankuschelten und ganz still wurden. Bei den Ausflügen am Wochenende in die Wälder, wenn der Große auf einen Baum kletterte und der Kleine Schmetterlingen hinterherjagte. Beim Toben im Schnee im Winter.

An den Abenden, an denen wir zu zweit „Ein Hauch von Liebe“ von Manfred Krug oder ein Bach-Konzert in der Klosterkirche hörten. In den seltenen Stunden, in denen ich in einem fesselnden Buch versank.

Doch vor allem lebte ich in der Zukunft.

Zeitperspektiven

Der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo hat untersucht, welche Einstellungen Menschen zu ihrer Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit haben. Er nennt diese Einstellungen Zeitperspektiven [1].

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Was bedeuten die sechs Zeitperspektiven?

  • Positive Vergangenheit: Menschen mit einer starken Ausprägung der „positiven Vergangenheit“ erinnern sich vor allem an schöne und erfolgreiche Erlebnisse. Außerdem geben sie Misserfolgen und anderen negativen Erlebnissen im Nachhinein einen Sinn, in dem sie daraus lernen.
  • Negative Vergangenheit: Menschen mit dieser Prägung erinnern sich vor allem an negative Erlebnisse ihrer Vergangenheit.
  • Hedonistische Gegenwart: Menschen mit hedonistischer Prägung kosten vor allem die Erlebnisse im Hier und Jetzt mit allen Sinnen aus. Um zukünftige Konsequenzen kümmern sie sich wenig.
  • Fatalistische Gegenwart: Menschen mit dieser Prägung leben im Moment und nehmen, was gerade kommt. Sie glauben nicht, dass sie Macht über ihr Schicksal haben.
  • Zukunft: Diese Menschen leben vor allem in der Zukunft. Sie entwerfen Visionen ihres zukünftigen Lebens oder schmieden Pläne für die nächsten Tage, Wochen und Jahre.
  • Transzendente Zukunft: Für Menschen mit dieser Prägung sind vor allem Glauben oder Spiritualität wichtig. Sie setzen sich gern für andere Menschen oder Vorhaben ein, die über ihr eigenes Leben hinausreichen. Die sechste Zeitperspektive hat Zimbardo im Nachhinein in sein Modell eingefügt.

Welche Zeitperspektive ist bei Dir heute am ausgeprägtesten?

Welche „Zeit-Persönlichkeit“ hast Du?

Der individuelle Mix der Zeitdimensionen beinflusst laut Zimbardo stark, wie wir denken, handeln und und uns fühlen. Diese „Zeit-Persönlichkeit“ hat Auswirkungen auf Wohlbefinden, beruflichen Erfolg und die Qualität von Partnerschaften.

Hier ein Beispiel:
Bei Partnern mit stark unterschiedlicher Zeitperspektiven sind Konflikte wahrscheinlich. Stell Dir eine Partnerschaft vor, bei der eine Person stark in der Zukunft lebt, die andere jedoch eher in der hedonistischen Gegenwart.

Wenn Du mehr über Deine individuellen Zeitperspektiven herausfinden möchtest, findest Du hier einen Test (Englisch, Zeitaufwand: ca 30 min).

Welcher Mix der Zeitperspektiven ist optimal?

Gibt es Zeitperspektiven, die nur Vorteile oder nur Nachteile haben? Nein, aber die Wissenschaftler haben einen optimalen Mix herausgefunden:

  • Positive Vergangenheit: stark ausgeprägt
  • Negative Vergangenheit: gering ausgeprägt
  • Hedonistische Gegenwart: moderat ausgeprägt
  • Fatalistische Gegenwart: schwach ausgeprägt
  • Zukunft: moderat ausgeprägt

Es ist nie zu spät, Deine positive Vergangenheit zu stärken

Die gute Nachricht – auch Deine Zeit-Prägung ist nicht ein für allemal gegeben. Zum einen ändert sie sich im Laufe des Lebens. Zum anderen lässt sie sich zu etwa 40 % gezielt beeinflussen.

Ein schlichtes Beispiel hatte ich bereits hier skizziert.

Falls Du Deine „Positive Vergangenheit“ verstärken willst, lade ich Dich zu einer kleinen Reflexionsübung ein.

Achtung: Such Dir bitte als „negatives Ereignis“ etwas aus, das Dich emotional nur mäßig belastet. Falls Du gravierende negative Erlebnisse Deiner Vergangenheit bearbeiten willst, die Dich heute noch stark aufwühlen, lass Dich bitte von einem Psychologen oder Psychotherapeuten unterstützen.

Positive Vergangenheit rekonstruieren - Zeitdimensionen

Ich wünsche Dir interessante Einsichten und freue mich, wenn du Deine Erfahrungen zu den Zeitdimensionen in einem Kommentar mit uns teilst.

Quellen:

[1] Philip G. Zimbardo, John Boyd: Die neue Psychologie der Zeit

[2] Zimbardo Time Perspective Inventory

[3] Wie Du Deine Vergangenheit änderst (SinnCoach-Blogartikel)

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Christine Radomsky


Christine hat Physik studiert, später Computerprogramme für blitzschnelle Züge entwickelt und schließlich als Coach Menschen dabei unterstützt, berufliche Veränderungen zu meistern.

Seit sie Oma ist, engagiert sie sich immer mehr für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder und Enkel auf dieser schönen, fragilen Erde.

Ihr Motto: Unterwegs von Ohnmacht zu AKTIVER HOFFNUNG. Für eine nachhaltige, gerechte und lebenswerte Welt.

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  1. Hallo Christine, dank der FB-Reichweiten Challenge bin ich auf euren moch jungen Blog gestoßen. Wirklich eine spannende Sichtweise auf unser Leben. Wie war das noch? „Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit zu haben.“ Oder so ähnlich.
    Ich habe schon in relativ jungen Jahren für mich folgendes entdeckt: 1. Nur step by step, day by day, wie es Withny Houston sang, lässt mich nicht stolpern und 2. Breite dabei die Arme aus, um die gute Balance zu halten. (Außerdem geht dann eine Umarmung fixer).
    Nun gehe ich langsam auf euer Zielgruppenalter zu (nur nicht auf die Pensionierung im klassischen Sinne) – bin schon lange mit verschiedenen Themen selbstständig unterwegs. Bei „www.wohindamit.de“ geht es gewissermaßen um unser aller Gegenwart und Zukunft.
    Ich wünsche euch unendlich viele wertvolle Augenblicke mit eurem Blog und den Angeboten. Viele Grüße Ute-Marie

    1. Hallo Ute-Marie,
      ich freue mich, dass Du über unseren Blog gestolpert bist.
      „Step by step“ ist eines Deiner Mottos – das funktioniert bei mir auch gut. Das zweite kannte ich noch nicht: „Breite dabei die Arme aus, um die Balance zu halten“. Leuchtet mir ein. Vor allem, dass dann eine Umarmung fixer geht :-).
      Großartig, was Ihr mit Eurer Online-Börse für Müllvermeidung und Nachhaltigkeit „wohindamit.de“auf die Beine stellt. Speziell die Verschenkbörse merke ich mir.
      Vielen Dank für Deine guten Wünsche!
      Christine

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