Hast Du schon einmal versucht, mit positivem Denken eine Herausforderung zu meistern? In vielen Ratgeberbüchern wird genau das nachdrücklich empfohlen. Doch verspricht diese Strategie immer Erfolg?
Positives Denken – ein Gedanken-Experiment
Stell Dir vor, Du sollst in ein paar Tagen einen Vortrag halten. Leider bist Du im Thema noch nicht sattelfest, außerdem fehlt Dir die Lust zur Vorbereitung. Kein Wunder, dass Du Dich mutlos fühlst. Da fällt Dir der Ratgeber zum Positiven Denken ein, den Du vor einiger Zeit verschlungen hast. Wie war das doch gleich? Denke positiv! Visualisiere Dich als Sieger! Dann wird schon alles gut gehen.
Vor Deinem inneren Auge erklimmst Du also federnd das Podium. Alle Augen sind gespannt auf Dich gerichtet. Es wird mucksmäuschenstill. Wie durch Zauberkraft fallen Dir knackige Formulierungen genau dann ein, wenn Du sie brauchst. Die Zuhörer hängen gebannt an Deinen Lippen, danach applaudieren sie Dir hingerissen. In der Pause klopft Dir Dein Chef auf die Schultern. Er stellt Dich einer wichtigen Persönlichkeit vor, die ganz begeistert von Deinem Auftritt ist. Sie nimmt Dich zur Seite und macht Dir ein attraktives Angebot. Was für ein Erfolg!
Nach diesen lebhaften Fantasien fühlst Du Dich deutlich besser. So beschließt Du, noch ein paar Tage mit der Vorbereitung zu warten. Es wird alles perfekt laufen – wozu musst Du Dich heute schon abmühen? Den nächsten Tag verbringst Du ähnlich – mit Wunschdenken. Anstatt Dich vorzubereiten, erledigst Du Kleinkram. Nur keinen Stress aufkommen lassen!
Die Realität holt Dich ein
Am Abend vor Deinem Auftritt verblasst der Glanz Deiner positiven Gedanken. Hektisch beginnst Du, Stichpunkte aus dem Internet in eine Powerpoint-Präsentation zu hacken. Dann hast Du wenigstens etwas, woran Du Dich festhalten kannst. Dennoch erkennst Du am nächsten Tag keinen roten Faden. Dein Vortrag wird ein Desaster. Du verhaspelst Dich und spürst, wie Dir das Blut in die Ohren schießt. Bereits nach kurzer Zeit vertiefen sich die meisten Zuhörer in ihre Smartphones. Einige verlassen den Saal, der Rest liegt im Tiefschlaf. Nachdem Du Dich durch die Powerpoints gekämpft hast, schleichst Du bedrückt davon. Den Blick zu Boden gerichtet – jetzt bloß keinem Bekannten begegnen. Schon gar nicht Deinem Chef.
Wenn dieser Auftritt in unserem Gedanken-Experiment kein Erfolg für Dich war – hast Du zu wenig positiv gedacht? Im Gegenteil. Was fehlte, war solide Vorbereitung. So gaukelte Dir Dein Wunschdenken Kompetenz und Selbstbewusstsein vor, ohne dass Du eine Grundlage dafür geschaffen hattest.
Positive Gedanken ohne eigene Anstrengung sind wie Seifenblasen – flüchtig und in der Regel wirkungslos.
Positives Denken ist keine Positive Psychologie
Die Psychologin Barbara Fredrickson leitet einen interessanten MOOC zur Positiven Psychologie (MOOC – Massive Open Online Course). Dort vermittelt sie, warum und wie Du positive Emotionen kultivieren solltest, um erfüllter zu leben. Gleichzeitig begründet sie, warum Halbwissen über Positive Psychologie sogar schädlich sein kann: Es verführt zum Wunschdenken, zur „Augen-zu-Positivität“ wie in der Story vom misslungenen Vortrag.
Erickson plädiert für „Augen-auf-Positivität“ , die positive Gedanken und Gefühle mit Realismus vereint. Mit einer solchen Haltung siehst Du auch die Schwierigkeiten einer Aufgabe und überwindest sie mit Einsatz und Durchhaltevermögen. In der Stunde der Herausforderung sehen die anderen dann vor allem Deine überzeugende Körpersprache. Denn Du fühlst Dich vielleicht etwas aufgeregt, aber sicher und authentisch.
Wie gehst Du mit Herausforderungen um? Wie stimmst Du Dich positiv und behältst gleichzeitig die Stolpersteine im Blick? Ich freue mich, wenn Du einen Kommentar schreibst.
Liebe Frau Radomsky,
ein schönes Beispiel für missverstandenes Positives Denken, das nichts anderes ist als Selbstbetrug. Natürlich kann nur der, der sich gut in seine Materie eingearbeitet hat, die Sicherheit haben, das er erfolgreich sein wird, wenn er nur auch mithilfe positiven Denkens seine Komplexe, seine Ängstlichkeit, seine Schüchternheit, sein Lampenfieber überwindet. Er muss sich vorher allerdings gut vorbereitet haben und im Thema sein. Sonst wird dat nix.
Liebe Frau Nurejew,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben Recht – Fachkompetenz und positives Denken führen nur gemeinsam zum Erfolg.
Liebe Christine
Wie wahr doch deine Zeilen sind. Bei meinen Coachings sage ich immer, das man die Handbremse vorher lösen muss, erst dann sind überhaupt positive Gedanken möglich. Mit wingwave und EMDR geht das prima. Herzlicher Gruss aus der Schweiz Bea
Handbremse vorher lösen – das ist eine tolle Metapher, Bea. Bei wingwave und EMDR bist Du die Expertin. Schön zu hören, das beides beim Bremsenlösen gut funktioniert. Eine gute Woche wünsche ich Dir!
Herzlichst, Christine