Als ich die U-Bahn-Treppe emporsteige, bin ich noch leicht benommen von Lärm und Gedränge. Die Morgenkühle prickelt auf meinem Gesicht. In der italienischen Cafeteria kaufe ich mir einen großen Latte Macchiato und freue mich auf den Spanisch-Kurs von Antonia aus Bilbao. Noch weiß ich nicht, dass ich gleich einem Dämpfer bekommen werde.
Der Milchschaum knistert auf dem Getränk, der Kaffeeduft steigt mir in die Nase, als ich mit dem Plastikbecher in der Hand die Tür zum Seminarraum öffne. Hola, ¿qué tal? Wie jeden Dienstag.
Doch dieses Mal sieht mich meine Tischnachbarin Maike mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie sagt trocken: „Weißt Du eigentlich, wie viel Müll Du gerade erzeugstt?“
Ich bin irritiert und spüre den Reflex, mich zu wehren. Nach neunzig Minuten mit dem öffentlichen Nahverkehr kann ich mir das doch einmal in der Woche gönnen, was macht das schon aus?
Zu Hause gehen wir sparsam mit Wasser um, trennen Müll, unser Komposter verwandelt Kartoffelschalen und Kaffeepads in Gartenerde. Das Licht schalte ich ab, wenn ich den Raum verlasse, die Wohnzimmer-Temperatur pendelt um 20 Grad. Ich bin doch kein Öko-Schwein!
Doch ich sage erst mal nichts und merke, wie mir eine leichte Röte ins Gesicht steigt. Dann antworte ich „Hmm, da ist was dran“.
Am selben Tag bestelle ich mir einen Thermo-Becher im Internet. Mit heißem Kaffee gefüllt, begleitet er mich nicht nur zum Spanisch-Kurs – ohne Milchschaum, versteht sich. Danke, Maike.
Ich sehe was, was Du nicht siehst: Selbstbild und Fremdbild
Das Johari-Fenster ist ein Modell, das zwei Sichtweisen auf unsere Person gegenüberstellt – unsere eigene und die anderer Menschen [1].
- In der Arena lebe ich meine öffentliche Person aus. Das sind mir bekannte Merkmale und Verhaltensweisen, die ich anderen Menschen zeige.
- Blinder Fleck: Ich zeige in der Öffentlichkeit jedoch mehr, als mir bewusst ist. Andere Menschen nehmen das wahr.
- Mein Geheimnis: Ich weiß mehr von mir, als ich öffentlich auslebe.
- Unbekanntes: Unbekannt ist alles, was sowohl mir als auch den anderen verborgen bleibt.
Die Arena und mein Geheimnis bilden mein Selbstbild.
Die Arena (oder Teile davon) und mein Blinder Fleck bilden das Fremdbild, das sich andere Menschen von uns machen.
Manchmal teilen sie uns etwas von ihren Beobachtungen über uns mit. Aus diesem Feedback können wir lernen – besonders, wenn es sich auf unseren Blinden Fleck bezieht.
Maike hatte mich mit der Nase darauf gestoßen, dass mein Verhalten (Plastikbecher verwenden) nicht zu einem meiner Werte passte (Nachhaltigkeit). So konnte ich meinen blinden Fleck verkleinern und mein Verhalten anpassen.
Natürlich können wir uns auch dafür entscheiden, Feedback zu ignorieren, denn nicht immer ist es hilfreich. Darüber schreibe ich in einem späteren Blog-Beitrag.
Feedback
Macht sich ein anderer Menschen die Mühe, mir etwas aus meinem „Blinden Fleck“ zu verraten, betrachte ich das heute als ein Geschenk. Als Chance, mein Selbstbild zu erweitern oder meine Handlungen besser auf meine Werte abzustimmen.
Das war nicht immer so, denn solche Hinweise schmerzen oft. Warum?
Unser Selbstbild ist zutiefst persönlich. Es gibt uns Halt wie Wurzeln einem Baum.
Wenn jemand daran rüttelt, kann das heftige Emotionen auslösen. Schnell landen wir im Abwehrmodus, in dem es schwer fällt, die Beobachtungen der anderen zu verarbeiten.
Feedback als Mitteilung des Fremdbildes bezieht sich nicht nur auf kleinere oder größere Schwächen.
Andere Menschen können uns auch über Stärken die Augen öffnen, die wir für selbstverständlich halten oder von denen wir nichts ahnen. Das erlebe ich immer wieder bei meinen Trainingsteilnehmern.
Wie gehst Du mit Feedback um, das Dir nicht gefällt? Wie ist es für Dich, wenn Du positives Feedback bekommst? Wie fühlst Du Dich dann und wie reagierst Du?
Wenn Du magst, teile Deine Gedanken in einem Kommentar.
Quelle
[1] Vera F. Birkenbihl: Kommmunikationstraining. Zwischenmenschliche Beziehungen erfolgreich gestalten
Liebe Christine,
deine Geschichte hat mir gut gefallen. Mit Feedback umzugehen, dass wir als Kritik ansehen, kann schwer fallen. Ich gebe zu, dass es ist schwer einen objektiven Blick auf diese Meinung zu werfen, wenn man sich persönlich angegriffen fühlt. Aber wie du sagst, ist es gut zu entscheiden, ob das Feedback uns helfen kann, die Person zu sein, die wir sein wollen oder ob man es abwinken will.
Dein Kommentar über die Stärken hat mich eine Coaching-Session mit einer Freundin erinnert. Es fiel mir schwer, nur zuzuhören und sie ihre Stärken selbst finden zu lassen, dass sie gewisse Dinge wie ihre Kreativität und ihre warmen und herzliche Persönlichkeit nicht erwähnte, weil sie sie wahrscheinlich als selbstverständlich hinnahm.
Liebe Dorit,
ich freue mich, dass Dir meine Geschichte gefallen hat – ich habe sie vor kurzem so erlebt. Vielen Dank für Deinen Kommentar.
Das Kriterium, das Du nennst, finde ich sehr wichtig: „Hilft uns das Feedback, die Person zu sein, die wir sein wollen?“.
Kann mir gut vorstellen, dass es schwer für Dich war, Deiner Freundin nicht sofort Feedback über ihre Stärken zu geben. Ich muss mich in Coaching-Sessions auch manchmal auf die Zunge beißen :-). Obwohl – wenn der Coachee seine Stärken auch nach einiger Zeit nicht als solche wahrnehmen kann, gebe ich dann schon mal Rückmeldung aus meiner ganz persönlichen Sicht. Das nenne ich dann auch so – meine subjektive Wahrnehmung. Wie hältst du es damit?
Liebe Christine,
ich will mal Deine Fragen beantworten:
Hast Du auch schon einmal Feedback erhalten, das Dir nicht gefiel?
Ja das habe ich. Und gebe Dir recht, es ist nicht immer einfach damit umzugehen, weil es an unserem Selbstbild rüttelt. Ich sage mal nichts dazu, wie ich damit umgehe, denn das wäre eine längere Abhandlung, die man mit „unterschiedlich“ umschreiben könnte.
Wie ist es für Dich, wenn Du positives Feedback bekommst? Wie fühlst Du Dich dann und wie reagierst Du?
Bei positivem Feedback ist die Sache einfacher: ich sage danke und geniesse für einen Moment die Wärme, wie bei einem Sonnenstrahl. Ich empfinde beides auch sehr ähnlich. Einen Moment Wärme tanken und dann ran an die nächsten Aufgaben.
Liebe Sabine,
dankeschön, dass uns einen Einblick in Deine Feedback-Erlebnisse schenkst.
Ja, es ist nicht immer einfach, mit negativem Feedback umzugehen. Weil es ja auch stark davon abhängt, wie uns der andere seine Kritik vermittelt. Als „Frontalangriff“ (Du bist mal wieder …) oder sachlich und konkret mit Ich-Botschaften (Ich habe gesehen, dass …). Wie wir dann damit umgehen, ist dann noch mal eine ganz andere Kiste.
Deine Reaktion bei positivem Feedback kann ich mir wunderbar vorstellen – ein warmer Sonnenstrahl, den Du genießt. Wie schön.
Liebe Grüße
Christine