Dr. Radomsky Coaching

dvct zertifizierter Coach

An einem warmen Sommerabend läuft mir mein Ex-Kollege Stefan (*) über den Weg. Vor sechs Jahren leiteten er und ich Teams im selben Konzern. Damals sprühte er vor Energie und Ideen und hatte ein „Händchen“, seine Leute zu begeistern.

Mit zusammengekniffenen Augen starrt er mich an – so als ob es ihn Kraft kostet, sich zu erinnern. Dann heben sich seine Mundwinkel leicht und er drückt mir kraftlos die Hand.

Im Cafe am See trinken wir Smoothies und sehen zu, wie die Abendsonne kupferfarbene Reflexe auf das Wasser malt. Nach ein paar Minuten Smalltalk schweigen wir eine Weile, dann bricht es aus ihm heraus:

Du hast das richtig gemacht, damals zu gehen. Ich hätte nie gedacht, dass mir das mal passiert.

Was denn?

Dass mir alles zu viel wird und ich keine Lust mehr habe. Dass ich mitten in der Nacht aufwache und mir Dinge durch den Kopf jagen, die ich nicht ändern kann. Die Rückenschmerzen. Die Freundin, die das nicht mehr lange mitmacht. Dass ich schon Sonntagmorgen Angst vor Montag habe. Dass mir der Job so sinnlos vorkommt.

Stefan erzählt, wie sich Veränderungs-Projekte und Umstrukturierungen nahezu im Jahrestakt jagen. Wie er immer größeren Druck spürt, noch mehr Projekte in immer kürzerer Zeit zu stemmen.

Und dann sagt er den Satz, der mir ins Herz trifft:

Ich fühle mich ausgelutscht wie eine Zitrone.

Stefan
Teamleiter Software-Integration

Jobfrust und kurz vor dem Burnout? Warum Stefan kein Einzelfall ist

Stefan ist kein Einzelfall. Vielen hoch motivierten und erfahrenen Führungskräften und Fachexperten geht es ähnlich - das erlebe ich immer wieder in meiner Coaching-Praxis.

Während die Wirtschaft die stagnierende Arbeitsproduktivität beklagt, zeigt ein genauer Blick, dass sie in einigen Branchen deutlich zulegt. So stieg die Arbeitsproduktivität in der Informations- und Kommunikationsbranche von 2010 bis 2016 auf 126 %. [1]

Sicher tragen Digitalisierung und effizientere Technologien zu diesem Wachstum bei. Zugleich sitzt zunehmender Leistungsdruck den Führungkräften und Fachexperten im Nacken - gerade in Hightech-Branchen.

​Führungskultur für New Work und Digitalisierung?

Dazu kommt, dass in vielen Firmen die Unternehmens- und Führungskultur weit hinter den Erfordernissen von Digitalisierung und New Work herhinken.

Statt Agilität und weitgehende Selbststeuerung von Teams und Netzwerken zu ermöglichen, herrschen starre Hierarchien mit Steuermechanismen des 20. Jahrhunderts.

Und so verschleudern Experten widerwillig viele Stunden mit Berichten, Rechtfertigung für Planabweichungen, Statusmeetings und Detailplanungen, die schon morgen wieder hinfällig sind. Vertrauen, Wertschätzung und Kreativität sehen anders aus.

In diesem Klima leiden Selbstwirksamkeit, Kooperation und Arbeitsfreude. Kein Wunder, dass sich Betroffene weniger mit der Firma verbunden fühlen.

Nach einer Umfrage der ManPower Group können sich 46 % der deutschen Arbeitnehmer vorstellen, innerhalb des nächsten Jahres ihren Job zu wechseln. Top-Motiv ist das Gehalt (26 %), gefolgt von mangelnder Anerkennung der Leistungen ( 17 %), schlechtem Arbeitsklima (14 %) und zu langen und unflexiblen Arbeitszeiten (11 %). [2]

​Unternehmenskultur und Gesundheit

Das Wissenschaftliche Institut der AOK fragte 2000 Arbeitnehmer für den Fehlzeiten-Report 2016, wie sie die Unternehmenskultur an ihrem Arbeitsplatz und ihren Gesundheitszustand einschätzen. Die Wissenschaftler melden eine gute und eine schlechte Nachricht.

Ein besserer Gesundheitszustand, weniger körperliche und psychische Beschwerden und weniger krankheitsbedingte Fehltage gehen mit einer positiv erlebten Unternehmenskultur im eigenen Betrieb einher...

Eine gute Unternehmenskultur äußert sich demnach vor allem durch eine Arbeitsumgebung, die von den Beschäftigten als fair, wertschätzend, sinnhaft und fördernd erlebt wird.

AOK Fehlzeiten-Report
2016

Eine schlechte Unternehmenskultur geht mit einem höheren Gesundheitsrisiko für Mitarbeiter einher.

AOK Fehlzeiten-Report
2016

Die genauen Daten finde ich eindrucksvoll. Von den Menschen, die ihre Unternehmenskultur als gut bewerten, sind etwa 9 % mit ihrer Gesundheit unzufrieden. Bei den Menschen, die ihre Unternehmenskultur als schlecht bewerten, steigt der Anteil der mit ihrer Gesundheit Unzufriedenen um das Dreifache auf 27,5 %. [3]

Wie sieht das bei Dir aus, liebe Leserin, lieber Leser? Wo würdest Du Dich auf diesen beiden Skalen verorten?

Unternehmenskultur an Deinem Arbeitsplatz:

Zufriedenheit mit Deiner Gesundheit:

​Schlechte Unternehmenskultur und Jobfrust: Neustart im Job?

Viele engagierte Beschäftigte arbeiten immer härter, um die wachsenden Herausforderungen zu stemmen. Sie merken oft zu spät, wie sie über ihre Belastungsgrenzen gehen.

Vielleicht erkennst Du Dich wieder? Achte auf die Frühwarnzeichen! Ein guter Draht zum eigenen Körper und den eigenen Emotionen hilft, den aktuellen Zustand klar zu sehen.

Stressreduzierende Aktivitäten wie Sport oder autogenes Training und genügend Schlaf mildern Belastungen. Sehr empfehlenswert ist Humor und alles, was Dir Spaß macht. Wir alle wissen das, doch wie oft fällt der gute Vorsatz dem "Hamsterrad" zum Opfer.

​Kennst Du Unternehmen, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter so wertschätzend und kooperativ miteinander Werte schaffen, wie das der Augenhöhe-Film zeigt? [4] Noch sind das hierzulande nur wenige. Möglich, dass Dir auch in Deiner neuen Firma Wertschätzung und Gestaltungsspielraum fehlen, nachdem der Reiz des Neuen abgeklungen ist.

Besonders für Führungskräfte und Fachexperten 50plus kann ein Job-Wechsel schwieriger sein als mit mit Mitte dreißig - objektiv wie subjektiv. Gerade merke ich: Das ist einen eigenen Artikel wert.

Andere machen sich selbständig. Sie reizt das hohe Maß an Selbstbestimmung, das jedoch gegen finanzielle und sonstige Risiken abzuwiegen ist.

Doch vielleicht musst Du gar nicht so weit suchen?

Was kannst Du tun, wenn Du bleibst?

Was Du tun kannst, hat mit Dir zu tun - nicht mit Deinem Chef oder starren Prozessen. Es geht um Deine Einstellungen, Deine Gefühle und Deine Handlungen. Ganz nebenbei: "Arbeite noch härter" ist keine Lösung. Im Gegenteil.

Tritt als erstes mental einen Schritt zurück und versuche, Abstand zu gewinnen. Und dann? In einem Folge-Artikel schauen wir uns das genauer an. Doch hier schon mal drei Fragen zum Loslegen:

  1. ​Wie fühlst Du Dich, was spürst Du im Körper?
  2. Was kannst Du für Dich tun, damit sich Körper, Geist und Seele wohl fühlen?
  3. Wer sind Deine Verbündeten, mit denen Du Dich gegenseitig unterstützt - nicht nur fachlich, sondern auch emotional?

Was ist inzwischen aus Stefan geworden? Unser Treffen am See ist inzwischen ein Jahr her. Noch immer arbeitet Stefan in seiner alten Abteilung. Doch er lernt zunehmend, seine hohen Ansprüche an sich zu relativieren und Fehler und Ungewissheit gelassener zu sehen. Seit er nicht mehr versucht, alle Antworten selbst zu finden, hat sich auch auch die Stimmung in seinem Team gelockert. Stefan ist auf dem Weg zu sich selbst. Und das Beste: Er hat sein herzliches Lachen wiederentdeckt.

Un Du, liebe Leserin, lieber Leser? Welche Wege hast Du für Dich gefunden, um trotz hoher Belastung gesund und leistungsfähig zu bleiben? Ich freue mich, wenn Du Deine Erfahrungen in einem Kommentar mit uns teilst.

QUELLEN

[1] Sachverständigenrat Wirtschaft: Zeitreihe: Arbeitsproduktivität nach Wirtschaftsbereichen

[2] Badura, Bernhard et al.: Unternehmenskultur und Gesundheit - Herausforderungen und Chancen. Fehlzeiten-Report 2016. ISBN 978-3-662-49413-4

​​[3] stern.de: Fast jeder Zweite ist reif für den Jobwechsel  

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Christine Radomsky


Christine hat Physik studiert, später Software für pfeilschnelle Züge entwickelt und schließlich als Coach Menschen dabei unterstützt, berufliche Veränderungen zu meistern.

Seit sie Oma ist, engagiert sie sich immer mehr für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder und Enkel auf dieser schönen, fragilen Erde.

Ihr Motto: Unterwegs von Ohnmacht zu aktiver Hoffnung - für eine lebenswerte, nachhaltige und gerechte Welt.

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