Dr. Radomsky Coaching

dvct zertifizierter Coach

Als Petra am Neujahrsmorgen gut gelaunt und kaum verkatert erwacht, ahnt sie noch nicht, dass das schlimmste Jahr ihres Lebens gerade begonnen hat. Sie rekelt sich am offenen Fenster. Ein klarer Winterhimmel wölbt sich über der Stadt. Die Schneeluft prickelt in ihrer Nase.

Wenn plötzlich alles ganz anders ist

Drei Tage später bekommt Petra einen Anruf des Mammografie-Zentrums. Eine freundliche Frauenstimme bittet sie dringend zu einem erneuten Untersuchungstermin.

Petra hatte sich für das neue Jahr viel vorgenommen. Alles lief gerade so gut – privat wie beruflich – und sollte noch besser werden. Ende Dezember hatte sie Petras Chef sie gefragt, ob sie sich die Leitung des neuen Projektes zutraute. Sie hatte zugesagt, voller Vertrauen in ihre Erfahrungen und die ihres Projektteams. Mit ihrem Mann hatte sie die lang ersehnte Hiking-Reise durch das Hochland von Tibet gebucht.

Doch plötzlich ist alles ganz anders.

Als sie die Diagnose Krebs erfährt, ist Petra fassungslos. Hatte sie nicht alles getan, um gesund zu bleiben? Joggen, gesunde Ernährung, Sauna am Wochenende. Nun lernt sie schmerzhaft, dass nicht alles in ihrer Macht steht.

Und nun?

"Selbstbestimmung

Wer oder was bestimmt unser Leben?

Bei einigen Menschen, mit denen ich im Coaching oder Training arbeite, habe ich zwei extreme Haltungen kennengelernt.

Die einen meinen, wenn sie nur genügend an sich arbeiten, könnten sie alles erreichen, was sie nur wollen (Selbstbestimmung).

Die anderen fühlen sich weitgehend als Opfer ihrer Umstände und versuchen, diesen zu entrinnen (Fremdbestimmung).

Ich lade Dich ein, kurz innezuhalten. Wie würdest Du folgende Reflexionsfrage für Dich beantworten?

"Selbstbestimmung

In zahllosen Ratgeberbüchern wird uns vermittelt, 100 % Selbstbestimmung wäre die optimale Haltung. Uns wird suggeriert, wir könnten so gut wie alles erreichen, was wir uns vornehmen. Wenn wir nur unsere Persönlichkeit hinlänglich trimmen. Zielsetzung, Zeitmanagement, Motivationssteuerung, all das hilft uns dabei.

Und in der Tat – wer sich auf der Skala weit rechts einordnet, hat gute Chancen, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Er kann sich selbst verwirklichen, seine Potenziale nutzen und ambitionierte Ziele erreichen.

Wer sich weit links einordnet, macht sich dafür weniger Stress, denn er kann ja ohnehin nur wenig tun, um sein Leben zum Besseren zu wandeln.

Beide Extrema haben einen blinden Fleck:

Die „Fremdbestimmer“ blenden aus, dass sie selbst in der Hand haben, wie sie mit ihren Lebensumständen umgehen.

Die „Selbstbestimmer“ blenden aus, dass es sehr wohl Ereignisse und Umstände außerhalb ihrer Kontrolle gibt, die ihr Leben beeinflussen.

Und so haben sie besonders schwer zu kämpfen, wenn ein Unfall, eine schwere Krankheit oder ein anderer Mensch ihre Pläne jäh durchkreuzen.

Selbstverantwortung übernehmen ohne Allmachts-Phantasien

Ich finde, das „optimale Mindset“ liegt irgendwo zwischen den beiden Polen 100 % Selbstbestimmung (Allmachtsglaube) und 100 % Fremdbestimmung (Hilflosigkeit). Im Laufe des Lebens kann es sich verschieben.

Warum nicht gelassen akzeptieren, dass es Umstände in unserem Leben gibt, die wir nicht in der Hand haben? Es sind übrigens weit mehr, als wir in unserem weitgehend sicheren und wohlhabenden Mitteleuropa glauben.

Stell Dir für einen Moment vor, Du wärst in Syrien geboren, wo gerade der Bürgerkrieg tobt. Oder in Deinem Geburtsort, jedoch vor 100 Jahren. Was wäre anders für Dich? Was wird anders für Dich sein, wenn Du Dich Deinem hundertsten Geburtstag näherst?

Auf der anderen Seite haben wir hier und heute zahlreiche Möglichkeiten, unser Leben selbstbestimmt zu gestalten. In den meisten Fällen können wir die volle Selbstverantwortung dafür übernehmen, wie wir auf die Ereignisse reagieren, die auf uns einprasseln. Wie wir darüber denken und was wir tun.

Für ein gelingendes Leben sollten wir also einerseits unsere aktuellen Begrenzungen akzeptieren und andrerseits unsere Möglichkeiten ausschöpfen.

Auch wenn man sich über die Prozente streiten kann, bringt es Dennis P. Kimbro auf den Punkt:

Das Leben ist 10%, was uns widerfährt und 90%, wie wir darauf reagieren.

Möglichkeiten nutzen und Begrenzungen akzeptieren

Was ist im letzten Jahr aus Petra geworden? Nach OP, Chemotherapie und Reha arbeitet sie nur noch halbtags. Ihre beruflichen Ambitionen haben sich vorerst zerschlagen. Auch die Tibet-Reise hat Petra auf unbestimmte Zeit verschoben.

Sie fühlt sich oft traurig und schwunglos. Dann fällt es ihr schwer, morgens aufzustehen und den Tag zu stemmen. Und doch keimt ein Pflänzchen Hoffnung. Petra geht zur Physiotherapie und läuft jeden Tag zwanzig Minuten durch den Stadtpark – ganz langsam. Und sie liest viel – etwas, wofür sie sich in den hektischen Jahren wenig Zeit genommen hat. Sie freut sich auf den Frühling. Ihr kleiner Olivenbaum im Terrakotta-Topf überwintert in Folie gehüllt. Petras Mann und eine Handvoll Freunde stehen zu ihr.

Heute hadert Petra nicht mehr mit dem, was sie jetzt kann und nicht mehr kann. Sie hat ihre aktuelle Situation akzeptiert und versucht, das Beste daraus zu machen. Sie macht keine großen Pläne, aber sie übernimmt Verantwortung für ihr Leben. Tag für Tag, Schritt für Schritt.

Noch weiß ich nicht, wie dieses Jahr für Petra werden wird. Doch ich bin ich zuversichtlich, dass sie Wege findet, eines Tages gestärkt aus ihrer Krise hervorzugehen.

Liebe Leserin, lieber Leser, hab ein gesundes, kraftvolles und glückliches neues Jahr.

Wie ist Deine Meinung zu Selbstbestimmung und Fremdbestimmung? Welche Grenzen sind Dir in Deinem Leben begegnet und wie bist Du mit ihnen umgegangen? Ich freue mich, wenn Du Deine Erfahrungen in einem Kommentar mit uns teilst.

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Christine Radomsky


Christine hat Physik studiert, später Software für pfeilschnelle Züge entwickelt und schließlich als Coach Menschen dabei unterstützt, berufliche Veränderungen zu meistern.

Seit sie Oma ist, engagiert sie sich immer mehr für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder und Enkel auf dieser schönen, fragilen Erde.

Ihr Motto: Unterwegs von Ohnmacht zu aktiver Hoffnung - für eine lebenswerte, nachhaltige und gerechte Welt.

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  1. Gratulation zu diesem anregenden und gelungenen Artikel, liebe Christine! Für mich geht das Leben genau darum, unsere Narben anzunehmen und trotzdem immer wieder aufs Neue unsere Möglichkeiten auszuloten und eine Nische zwischen diesen Möglichkeiten und unseren Begrenzungen zu finden. Jede einzelne dieser Narben kann zu unserem Freund oder unserem Feind werden: wir können daran wachsen oder daran zerbrechen. Und es ist unsere Aufgabe im Leben, diese Narben zu Freunden zu machen und daran zu reifen, auch wenn das manchmal nicht so einfach ist, wie ich aus eigener Erfahrung leider allzu gut weiss.

    1. Liebe Sabine,
      vielen Dank für deinen nachdenklichen Kommentar. „Es ist unsere Aufgabe im Leben, diese Narben zu Freunden zu machen und daran zu reifen.“ Könnte ich nicht schöner sagen, danke!
      Alles Liebe für Dich
      Christine

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