Dr. Radomsky Coaching

dvct zertifizierter Coach

​Auf dem S-Bahnhof Alexanderplatz läuft mir Torsten (*) über den Weg, ein ehemaliger Kollege aus meiner Zeit im Technikkonzern. Seine Stirn ist gefurcht, schon ​die ersten Worte lassen ​nichts Gutes ahnen. „Was für eine Sch…! Du kannst dir nicht vorstellen, wie mies die Stimmung bei uns ist. Gerade haben wir erfahren, dass ein Großteil unserer Projekte nach Rumänien verlagert wird. 250 Software-Entwickler verlieren in Berlin und Ditzingen ihren Job. Wer bleiben darf, wissen wir noch nicht.“ ​

Torsten (Anfang fünfzig) und seine Kollegen entwickeln Bahntechnik – man könnte meinen, das sei in Zeiten der Klimakrise eine Boom-Branche. Den hiesigen Beschäftigten hilft das wenig.

In anderen Branchen sieht es noch fataler aus. Frage ich meine Lieblingssuchmaschine nach „Firma baut Stellen ab“, springen ​Nachrichten über drastische Einschnitte bei Ford, Opel und dem Reifenhersteller Goodyear Dunlop ins Auge.

​Autoindustrie baut massiv Stellen ab

​Warum gerade die Automobilindustrie, das traditionelle Zugpferd der Industrie in Deutschland? Eine Studie der Fraunhofer-Gesellschaft beantwortet diese Frage ​[1]. Sie ​analysiert, wie sich die drei Megatrends Dekarbonisierung, Digitalisierung und Globalisierung auf die Beschäftigung in der Automobilindustrie auswirken werden. Dabei ​untersuchten die Wissenschaftler drei Zukunfts-Szenarien, in denen sich Elektroautos mehr oder weniger schnell durchsetzen. Weil Elektroantriebe deutlich weniger Teile haben als Verbrennungsmotoren, werden weniger Arbeitskräfte gebraucht. Doch ​wieviel in etwa?

​Im Szenario 1 wird angenommen, dass die neue Antriebstechnik nur langsam wächst (auf 25 % Elektrofahrzeuge plus weitere 15 % Hybridfahrzeuge bis zum Jahr 2030).
Schon für dieses Szenario sagen die Wissenschaftler einen Stellenabbau von 11 % voraus, ​für ​die Szenarien 2 und 3 erwarten sie 40 % bzw. 53 %. Selbst wenn man annimmt, dass neue Arbeitsplätze im Service entstehen, bleibt das Gesamtsaldo eindeutig negativ.

​Und gesamtwirtschaftlich? Noch vermeldet die Agentur für Arbeit nahezu Vollbeschäftigung. Doch vieles spricht dafür: das bleibt nicht so.

​Platzhirsche im Abwärtstrend

Zwar suchen mittelständische und kleine Firmen händeringend nach IT-Experten oder Handwerkern. Wie unser Brunnenbauer mit vollem Auftragsbuch, der dringend eine Fachkraft einstellen oder auch Azubis ausbilden möchte, doch niemanden findet.

​Dagegen trudeln viele große Unternehmen längst in der Abwärtsspirale, auch wenn sie laut „Fachkräftemangel“ rufen. Boten diese Platzhirsche der alten Industriegesellschaft ihren Beschäftigten über Jahrzehnte Stabilität und ein sicheres Gehalt, fegen heute Globalisierung und Digitalisierung, gepaart mit dem Dogma vom Maximalprofit für Aktionäre, herkömmliche Produktlinien und Geschäftsprozesse davon.

Nur halbherzig versuchen Konzerne, durch innovative Produkte, massive Weiterbildung, agile Arbeitsweisen und schlanke Strukturen mit den wendigen Start-ups mitzuhalten. Oft jedoch ziehen sie den einfacheren Weg vor – Produktionsverlagerungen, Entlassungen.

​Denn global agierende Firmen können aus einem riesigen Pool von Jobbewerbern schöpfen. Schließlich beherrschen gut ausgebildete Fachkräfte in Rumänien oder Indien inzwischen vieles von dem, worauf Projektleiterinnen und Ingenieure in Deutschland traditionell stolz sind. Auch die ​Zusammenarbeit mit den geschrumpften Stammbelegschaften hierzulande ist zumindest technisch kein Problem mehr – Technologien der E-Kooperation wie beispielsweise Slack oder Yammer machen es möglich.

​Hinzu kommt: Algorithmen, künstliche Intelligenz und Roboter übernehmen immer mehr Routinetätigkeiten – gerade von Wissensarbeitern. Auch das drückt auf den Stellenmarkt, auch, wenn das immer wieder dementiert wird. ​

​Gerade für die Beschäftigten vieler großer Unternehmen sind die Arbeitsplätze unsicherer denn je. Was können Menschen tun, deren Job ​in Gefahr ist?

Job bedroht? Mann am See

​​Was können Betroffene tun?

​Viele Job-Ratgeber empfehlen, nun vor allem seine Bewerbungsunterlagen und Profile auf den Business-Plattformen Xing oder LinkedIn zu aktualisieren. Das macht durchaus Sinn – gerade, wenn man sich die letzten zehn, zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr bewerben musste.

​Doch mindestens ebenso wichtig ist die innere Stabilisierung, weil der drohende Verlust des Arbeitsplatzes viele Menschen in eine handfeste Krise stürzt, die ihre persönliche Identität erschüttert.

​Willst du mehr zu den 5 Säulen der Identität wissen? ​Herausfinden, wie stabil sie dich im Moment tragen? Mehr zu diesem ​Modell des deutschen Psychologen H.G. Petzold ​sowie einen Selbstcheck findest du in einem früheren ​Blogartikel [2]. ​

​In diesem Beitrag möchte ich dich zu drei weiteren Möglichkeiten einladen, gelassener durch die ​ersten Wochen der Jobkrise zu navigieren.

1. ​Job in Gefahr: Wohlfühl​zeit gönnen

​Ist der Job bedroht, sitzt uns der Dauer-Stress über Wochen und Monate im Nacken. Die Stimmung sinkt in den Keller, oft kreist das Gedankenkarussell sogar nachts. Aus der Stressforschung ist bekannt: Je länger der Stress anhält und je stärker er ist, desto weniger Bewältigungsmöglichkeiten stehen uns zur Verfügung. Logisches Denken und Kreativität sind dann stark eingeschränkt, stattdessen reagieren wir schnell mit archaischen Handlungsmustern. Außerdem erhöht Dauerstress das Krankheitsrisiko. Gut zu wissen, dass wir gegensteuern können. Doch wie?

Zunächst ist es wichtig, unangenehme ​Emotionen, die die Jobkrise auslöst, wahrzunehmen und zu benennen. Was spürst du im Körper? Welche Emotion ist das? Angst, Wut, Trauer…? Schon wenn es gelingt, der Emotion einen treffenden Namen zu geben, verliert sie einen Teil ihrer Wirkung.

​Gleichzeitig hilft​, die langfristige Stimmung aufzuhellen. Wie? Du weißt am besten, was dir guttut. Was immer es ist -  ein Spaziergang in der Mittagspause, Sport, Yoga, Sauna, deine Lieblingsmusik, ein paar Seiten lesen - gönn‘ es dir. Winkst du jetzt ab, weil du meinst, unter der Woche keine Zeit für diese Dinge zu haben?

Ein früherer Klient von mir dachte das zunächst auch. Dann kam er auf die Idee, diese Dinge als „Verabredung mit sich selbst“ in seinem Kalender zu planen und genauso einzuhalten wie Arbeitsbesprechungen. Vielleicht hilft auch dir dieser Trick, denn ​auch nur 15 Minuten Wohlfühl-Zeit pro Tag machen schon einen großen Unterschied.

​2. ​Job in Gefahr: Zusammen ist man weniger allein

Viele Betroffene ziehen sich in einer Jobkrise zurück. Das ist eine verständliche, jedoch wenig taugliche Strategie. Hast du Freunde oder Familienmitglieder, die dich unterstützen? Großartig! Gerade auf diejenigen, die dich nicht gleich mit eigenen Lösungsideen überfallen, sondern dir vor allem zuhören, kannst du bauen.

Und wie ist das mit den Kolleginnen und Kollegen, die genau wie du um ihren Arbeitsplatz bangen? Vielleicht fühlt es sich gut für dich an, deine Wut oder Niedergeschlagenheit über den drohenden Jobverlust zu teilen. ​So richtig über das Top-Management und die Firmenpolitik abzulästern kann zunächst entlasten. Doch Vorsicht: Verlier dich nicht in einer „Klagegemeinschaft“, die die Problemfokussierung von Mal zu Mal vertieft, ohne den Blick nach vorn anzuregen. Such dir also Unterstützer, die dir wirklich guttun.

​3. Job in Gefahr: ​​​Die Krise umbewerten ​

​Von meinen Coaching-Klienten weiß ich: Viele Betroffene durchforsten als erstes einschlägige Stellenbörsen im Internet. Oft suchen sie lediglich nach Jobs, die denen ähneln, die sie gerade verlieren. Geht dir das ähnlich? Dann mag sein, dass du eine der großen Chancen deines Lebens übersiehst – eine berufliche Neuorientierung. Denn bevor du dich Hals über Kopf in eine neue berufliche Bindung stürzt, wäre vielleicht wichtig, dir darüber klar zu werden, wozu die Krise gut sein könnte und was du wirklich, wirklich willst.

Und nein - ich denke dabei nicht nur an sehr junge Menschen, sondern gerade auch an ​ lebenserfahrene wie Torsten.

Drei ​paradoxe Fragen als Anregung für deine Selbstreflexion:

  • Was hat dich an deinem Job schon lange gestört? ​
  • Wozu könnte es gut sein, diesen Job zu verlieren?
  • Was könnte ​schlimmstenfalls ​passieren? Was im besten Fall?

​Anschließend könntest du dich fragen, wie die Arbeit aussehen sollte, die du anstrebst, und deinen Traum mit dem Arbeitsmarkt abgleichen.  Wie das gehen könnte, liest du in einem Folgeartikel der Serie.

Hier noch einmal ​die drei Erste-Hilfe-Vorschläge aus diesem Beitrag:

  • ​Wohlfühlzeit gönnen
  • ​Unterstützer ​suchen
  • ​Paradoxe Fragen

​Torsten, seinen Kolleginnen und Kollegen und allen Lesern, deren Job ​in Gefahr ist, wünsche ​ich für die nächsten Wochen und Monate Gelassenheit​, ​Kraft und Optimismus.

Lass es dir gut gehen
Christine

Quellen:
[1]  Bauer, W., Riedel, O., Herrmann, F., & al,  et. (2018). ELAB 2.0. Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung am Standort Deutschland. 2. Auflage. Stuttgart: Fraunhofer IAO. Online
[2]  Job verloren? Warum du mehr als dein Beruf bist. Selbst-Check 5 Säulen der Identität

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Christine Radomsky


Christine hat Physik studiert, später Computerprogramme für blitzschnelle Züge entwickelt und schließlich als Coach Menschen dabei unterstützt, berufliche Veränderungen zu meistern.

Seit sie Oma ist, engagiert sie sich immer mehr für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder und Enkel auf dieser schönen, fragilen Erde.

Ihr Motto: Unterwegs von Ohnmacht zu AKTIVER HOFFNUNG. Für eine nachhaltige, gerechte und lebenswerte Welt.

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  1. Liebe Christine ! Was soll ich sagen ? Ein klasse Artikel! Und ich hoffe, dass er ganz vielen Menschen helfen wird – so wie mir Deine anderen Artikel auch schon oft geholfen haben !
    Und toi, toi, toi für Alle!!!
    Liebe Grüsse von Monika

    1. Liebe Monika,
      ganz herzlichen Dank für deine positive Rückmeldung zu diesem Beitrag und zum Blog. Das freut mich riesig. Ja, drücken wir gemeinsam die Daumen!
      Liebe Grüße
      Christine

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