Dr. Radomsky Coaching

dvct zertifizierter Coach

Montagmorgen. Die Klimaanlage rauscht in der Büroetage aus Glas und Stahlbeton. Stefan nimmt die Brille ab, schließt die Augen und reibt mit dem Zeigefinger die Nasenwurzel. Ein dumpfer Schmerz pocht in seinen Schläfen.

Gerade hat ihm der Chef ein weiteres Arbeitspaket auf den Tisch gelegt - dringend wie immer. Stefan soll die IT-Abteilung für ein Qualitäts-Audit fit machen. Abläufe analysieren, Prozessbeschreibungen aktualisieren, Mitarbeiter schulen ... Wie soll er die Leute seines Teams motivieren, mitzuziehen? Gerade kämpfen sie sich durch die letzten Abnahmetests für ein Wartungs-Projekt.

Stefan flucht leise. Zwar arbeitet die IT immer stärker selbstorganisiert und agil [3]. Doch wenn ein externes Audit naht, rufen die Chefs nach zu 100% durchorganisierten Prozessen.

Am Abend fröstelt er, am nächsten Morgen kommt er nicht aus dem Bett. Die Knochen schmerzen und sein Kopf fühlt sich an wie eine überreife Melone. Stefan spürt, dass ihn nicht nur ein grippaler Infekt erwischt hat. Er ist jetzt acht Jahre in der Firma, Mitte fünfzig und fühlt sich auf Arbeit immer unzufriedener.

Statt Steuerungs-Software für den Energieversorger zu integrieren und zu testen wie früher, schreibt er jetzt vor allem unproduktive Berichte. Vor kurzem hat der neue Geschäftsführer angewiesen, wieder ein detailliertes Time-Tracking einzuführen. Jeder Mitarbeiter muss täglich protokollieren, wie viel Minuten er für welche Aufgabe verbraucht – mit zehn Minuten Toleranz.

Die Teamleiter basteln aus diesen Daten Grafiken, die sie vor dem Controller verteidigen müssen. Spaß macht das nicht, und den Sinn des Ganzen sieht außer Geschäftsführer und Controller auch niemand ein. Mikro-Management wie vor 20 Jahren.

Love it, change it or leave it

Reinhard K. Sprenger, der Autor des Selbstmanagement-Klassikers „Die Entscheidung liegt bei dir“ nennt drei Wege, wie wir konstruktiv mit einer Situation umgehen können. Love it, change it or leave it.

Missliche Arbeitsbedingungen über Jahre hinweg treiben viele Angestellte wie Stefan an den Rand von chronischer Unzufriedenheit, Krankheit und Burnout. Manche Menschen ertragen sie dennoch ungeändert über viele Jahre hinweg. Vielleicht für eine gewisse Zeit – bis die Kinder flügge oder der Kredit für die Eigentumswohnung abgezahlt ist. Doch sie zahlen einen Preis – Seele und Körper leiden.

Was, wenn wir den zweiten Weg gehen ("change it") und unseren aktuellen Job umgestalten? In wieweit geht das? Noch vor wenigen Jahren wurden Jobs vom hierarchisch Vorgesetzten akribisch in Job-Beschreibungen festgezurrt: Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Befugnisse, Schnittstellen. Der Beschäftigte blieb dabei passiv. Ihm kam zu, die Job-Beschreibung möglichst gut zu erfüllen.

Doch starre und detaillierte Job-Beschreibungen sind aus zwei Gründen Auslauf-Modelle.

  • Zum einen stoßen Führungskräfte in Unternehmen, in denen der technologische und Umfeld-Wandel galoppieren, schnell an ihr Limit. Sie wissen nicht nicht, welche konkreten Anforderungen auf ein Team oder einen Mitarbeiter demnächst zukommen oder welche kreativen Methoden oder neue Technologien zum Ziel führen. Der Ausweg? Vertrauen in die Kompetenz, Lernfähigkeit und Kooperation der Mitarbeiter und Teams.
  • Zum anderen hat sich das Bild des Mitarbeiters gewandelt – passive Befehlsempfänger sind kaum noch gefragt. Positive Psychologie und Führungspsychologie belegen, dass Menschen mehr leisten, zufriedener und gesünder sind, wenn sie am Arbeitsplatz ein hohes Maß an Selbstbestimmung erleben.

Welchen Spielraum für selbstbestimmte Arbeit können sich Mitarbeiter erobern?

Bürogebäude MichaelGaider @pixabay.com

Job Crafting: Verwandle den Job, den Du hast, in den Job, den Du magst

Der Begriff des Job Craftings geht auf eine Studie von Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton von 2001 zurück [4]. Die Uni-Wissenschaftlerinnen befragten Reinigungskräfte der Putzkolonne eines Krankenhaus nach Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit. Und obwohl wischen, Bad putzen und Schieber ausleeren nicht nach einem Traumjob klingt, erlebten einige Reinigungskräfte eine hohe Zufriedenheit mit ihrer Arbeit. Wie war das möglich?

Die zufriedenen Reinigungskräfte werteten ihren Job kreativ auf verschiedene Weise auf. Zum Beispiel unterhielten sie sich mit besorgten oder einsamen Patienten. Vor allem hielten sie sich immer wieder vor Augen, dass sie mit ihrer Arbeit die Gesundung der Patienten unterstützten. Schließlich sorgten sie für saubere Krankenzimmer, in denen Krankheitskeime keine Chance hatten.

Seitdem haben zahlreiche Studien gezeigt, wie Job Crafting funktioniert und wirkt.

Arbeitest Du in einem Bereich, der Expertenwissen, neue Technologien, Gestaltung des Wandels und lebenslanges Lernen erfordert? Dann hast Du noch größere Chancen als die Reinigungskräfte, Deinen Arbeitsplätze teilweise selbst umzugestalten.

Gavin R. Slemp und Dianne A. Vella-Brodrick entwickelten und testeten 2013 den JQC (Job Crafting Questionnaire), einen Fragebogen aus 19 Fragen [5]. Sie bestätigten die Annahme, dass Menschen ihren Arbeitsplatz vor allem in drei Bereichen gezielt an ihre Bedürfnisse anpassen können:

  • Aufgaben (Task Crafting)
  • Beziehungen (Relational Crafting)
  • Mindset (Cognitive Crafting)

Wenn auch Du Deinen Job passender und erfreulicher gestalten willst, schlage ich Dir eine Selbstreflexion aus zehn Fragen vor, die ich für Dich aus dem JQC verdichtet habe.

10 Selbstcoaching-Fragen für Dein Job Crafting

Task Crafting: AUFGABEN

  • Welche Aufgaben gehen Dir gern und gut von der Hand? Was davon möchtest Du öfter tun? Welche neue Aufgabe kannst Du übernehmen, die zu Deinen Stärken und Interessen passt?
  • Welche Aufgaben erledigst Du ungern? Könntest Du sie delegieren oder mit einem Kollegen tauschen, der sie lieber macht? Oder: Wie kannst Du sie vergnüglicher machen?
  • Wie kannst du deine Arbeit effektiver gestalten? Was möchtest Du weglassen oder verschlanken? Welches neue Verfahren oder Tool willst du lernen und einsetzen?

Relation Crafting: BEZIEHUNGEN

  • Zu welchen Menschen Deines Arbeitsumfeldes willst Du den Kontakt vertiefen? Weil sie Dich inspirieren, ähnlich ticken wie Du, anders sind als Du, Dich ermutigen oder fröhlich stimmen…?
  • Wie kannst Du die Menschen Deines Arbeitsumfeldes besser kennenlernen?
  • Wie kannst Du wertschätzende und unterstützende Arbeitsbeziehungen fördern? (Mentoring für einen Neuen, Wertschätzung für Mitarbeiter und Kollegen, kollegiale Unterstützung)

Cognitive Crafting: MINDSET

  • Was trägst Du mit Deiner Arbeit zum Unternehmens-Erfolg bei?
  • Wie wichtig ist Deine Arbeit für die Kunden und die Gesellschaft?
  • Wie beeinflusst Deine Arbeit, dass es Dir gut geht im Leben und Du Dich entwickeln kannst?

KONTEXT

  • Wo siehst du Spielraum, zeitliche oder räumliche Umstände Deiner Arbeit zu verbessern? (Gleitzeit, kleineres Büro statt Großraum, Home Office usw.)

Job Crafting konkret

Stefan braucht drei Wochen, bis die Schmerzen in Kopf und Muskeln verstummen. Als er wieder klar denken kann, schreibt er auf, was ihm zum Sinn seiner Arbeit und zu seinen Wünschen, Stärken und Spielräumen einfällt.

Er erinnert sich wieder daran, wie seine Abteilung mit reibungsloser IT dazu beiträgt, dass der Energieversorger Tausende von Unternehmen und Millionen von Menschen verlässlich mit Elektroenergie versorgt. Wenn bei Stefans Familie abends das Licht angeht und der Kühlschrank schnurrt, hat auch er Anteil daran. Das war ihm in den letzten Jahren ganz aus dem Blickfeld geraten.

Außerdem wird ihm klar, dass sich jedes Mal sein Nacken verspannt, wenn er wieder über Excel-Statistiken und Berichten brütet.

Dagegen liegen ihm Konzepte und kreative Methoden. Gern und erfolgreich moderiert er produktive Brainstormings und Meetings, in denen Mitarbeiter verschiedener Bereiche gemeinsame Lösungen entdecken. Das würde er gern öfter tun.

Stefans Herz trommelt Stakkato, als er sich zuerst einem befreundeten Kollegen und dann seinem Abteilungsleiter anvertraut. Nach vielen Gesprächen wechselt er in das Nachbar-Team, wo er nun an der Software-Architektur komplexer Systeme mitarbeitet. Seinen Wunsch nach einem regelmäßigen Tag im Home Office lehnt der Chef noch ab. Doch weil er Stefans Fähigkeiten als Moderator schätzt, genehmigt er ihm eine Weiterbildung zum Graphic Facilitator.

Und das Qualität-Audit? Ein Kollege, der Analysen und Prozessbeschreibungen mag, übernimmt diese Tätigkeit gern. So profitiert auch das Unternehmen: Es gewinnt gleich zwei Mitarbeiter, die zufriedener sind und sich stärker mit ihrer Arbeit identifizieren.

Liebe Leserin, lieber Leser – welche Erlebnisse hast Du mit Job Crafting? Vielleicht gestaltest Du Deine Arbeit schon in weiten Bereichen selbst, ohne dass Du bisher bewusst darüber nachgedacht hast? Ich lade Dich herzlich ein, Deine Erlebnisse in einem Kommentar mit uns zu teilen.

Quellen:

[1] SinnCoach Blog: Frust im Job: Ausgelutscht wie eine Zitrone (Teil 1 der Serie)

[2] SinnCoach Blog: Frust im Job: Was tun? (Teil 2 der Serie)

[3] Agile Softwareentwicklung (Wikipedia): Regelarme, anpassungsfähige und inkrementelle Vorgehensweisen bei der Softwareentwicklung

[4] A Wrzesniewski, JE Dutton: Crafting a job: Revisioning employees as active crafters of their work. Academy of management review, 2001

[5] Gavin R. Slemp, Dianne A. Vella-Brodrick: The Job Crafting Questionnaire: A new scale to measure the extent to which employees engage in job crafting. International Journal of Wellbeing, Vol 3, No 2 (2013)












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Christine Radomsky


Christine hat Physik studiert, später Computerprogramme für blitzschnelle Züge entwickelt und schließlich als Coach Menschen dabei unterstützt, berufliche Veränderungen zu meistern.

Seit sie Oma ist, engagiert sie sich immer mehr für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder und Enkel auf dieser schönen, fragilen Erde.

Ihr Motto: Unterwegs von Ohnmacht zu AKTIVER HOFFNUNG. Für eine nachhaltige, gerechte und lebenswerte Welt.

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  1. Interessanter Artikel, speziell die zehn Selbstcoaching-Fragen zur selbstbestimmten Jobgestaltung.
    Allerdings: was macht man, wenn Führungskräfte und Unternehmen gar kein Interesse daran haben, dass sich Mitarbeiter mit ihren Ideen einbringen?
    Befehlskultur, Suche nach Schuldigen, Unehrlichkeit, Unfehlbarkeits-Anspruch des Chefs…
    Solche toxischen Organisationen habe ich schon zwei Mal erlebt. Da hilft Job Crafting nicht mehr, oder wie siehst du das?

    1. Hallo Juliane, ich freue mich, dass Du mit den zehn Selbstcoaching-Fragen zum Job-Crafting etwas anfangen kannst. Du wirfst eine spannende Frage auf: Wie kann der einzelne damit umgegehen, wenn er kaum Gestaltungsspielraum für sich sieht und sein Unternehmen als „toxisch“ empfindet? Dazu schreibe ich gern in den nächsten Wochen einen separaten Blockartikel. Herzlichen Dank für die Anregung und viele Grüße Christine

  2. Liebe Christine,
    super Artikel! Ich vermute, das Thema kennen viele, zumindest die, die angestellt sind. Ich habe es lange mitgemacht, nicht wirklich glücklich zu sein, und dachte, ich könnte es nicht ändern, müsste es irgendwie überstehen. Dann gab es einen Punkt, an dem es nicht mehr ging. Dann habe ich verstanden, dass ich die Entscheidungen, wie mein Leben sein soll, selbst treffen kann. Ich konnte dann meine Aufgaben im Job ändern, ohne den Arbeitsplatz zu wechseln, und war so erstaunt, wie viel besser ich mich dadurch fühlte…

    1. Lieber Wilhelm, danke für Deinen Kommentar. Ja, das Thema ist sicher vielen (vor allem) Angestellten vertraut. Wie schön, dass Du den Wende zum selbstbestimmten Arbeiten hingekriegt hast, ohne den Arbeitsplatz zu wechseln.
      Viele Grüße Christine

  3. Vielen Dank für den interessanten Artikel und die ganze Serie zum Thema Jobfrust. Den Begriff Job Crafting kannte ich nicht, aber ich habe das durchaus schon mal gemacht. Zum Beispiel laut „Hier“ gerufen, als ein Leiter für ein interessantes Projekt gesucht wurde. Oder mit meinem Chef vereinbart, dass ich wegen einer außerbetrieblichen Weiterbildung meine Präsenz-Zeit am Arbeitsplatz verschiebe. Spannend fand ich die Idee, auch seine Beziehungen im Job bewusster zu gestalten. Das werde ich ausprobieren – guter Tipp.

  4. Hallo Christine, zwischen 2 Urlauben melde ich mich auch mal wieder. Schön, der Artikel, den Du da geschrieben hast und wie wahr! Ich würde das sogar Life crafting nennen. Das Gute ist, dass wir im Prinzip ganz natürlich Experten darin sind. Ich habe mal einen TED Talk gesehen, an den mich Dein Artikel erinnert hat: https://www.ted.com/talks/dan_gilbert_asks_why_are_we_happy. Darin geht es darum, wie wir uns an unsere Lebensumstände anpassen können, wie wenig sie Einfluss auf unsere Stimmung haben müssen, denn wir schaffen es Unglück in Glück zu verwandeln, immer wieder das Gute an unserer Geschichte zu sehen und alles was uns passiert irgendwie einzuflechten und etwas Wertvolles daraus zu ziehen.

    „Jeder Tag, der nicht Dein Freund ist, ist Dein Lehrer“, das etwa ist ein Spruch der mir manchmal weiterhilft. Oder gerade heute habe ich gedacht, immer wenn eine Tür zu geht, trägt das das Potential in sich, das 1000 neue Türen sich öffnen können (es ging dabei um eine Bewerbung).

    In diesem Sinne wünsche ich Euch einen schönen Sommer und weiter so mit Euren Blog Artikeln,
    Sabine

    1. Hallo Sabine, ich freue mich von Dir zu hören. Life crafting – gute Idee, denn wir „schnitzen“ ja viel mehr als nur unsere Arbeit. Das Video von Dan Gilbert kannte ich, hatte ich aber schon vergessen. Danke für den Link. Es bringt auf den Punkt, wie wir uns auch an missliche Lebensumstände anpassen und Zufriedenheit/ Glück empfinden können. Und dass viele neue Türen aufgehen, wenn sich eine schließt, habe ich wie Du immer wieder erlebt. Übrigens auch bei Bewerbungen :-). Auch Dir einen schönen Sommer. Liebe Grüße
      Christine

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