Ein Sommertag in Berlin Treptow. Der Verkehr dröhnt vierspurig stadtauswärts, von zahlreichen Baustellen gebremst. Ein Baggerführer streicht sich das Haar aus der verschwitzten Stirn und schaut auf die Uhr. Noch eine Stunde bis zur Mittagspause. Er legt den Gang ein und bohrt die Schaufel seines Baggers tief in den sandigen Untergrund.
Plötzlich erlöschen die Ampeln im Berliner Südosten. In 67000 Haushalten verstummen die Kühlschränke. In Supermärkten schalten Registrierkassen und Kühltheken ab. Krankenhäuser und Telekommunikations-Firmen fahren auf Notstrom-Aggregat.
Nach einem City-Termin sitze ich gerade in der S-Bahn, als mein Handy klingelt. Michael erzählt vom Stromausfall. Nach ersten Nachrichten sind die Gründe noch unbekannt. Spätestens um Mitternacht sollen die Lampen wieder leuchten, hat der Energie-Versorger versprochen.
Bange Frage: Wie komme ich jetzt nach Hause? Hinter Neukölln überqueren wir die unsichtbare Energie-Grenze - die Anzeigen auf den Bahnhöfen bleiben jetzt dunkel. Doch die Bahn fährt noch, wenn auch langsam. Auf jedem Bahnhof wartet sie lange, so als ob der Fahrer Instruktionen einholt.

Ich schaue aus dem Fenster der Bahn und mache mir Sorgen. Wie verletzlich sind unsere Städte? Nicht nur technische Pannen bedrohen sie. Schlitzohren stehlen Kupferkabel aus S-Bahn-Kabelschächten und legen ganze Strecken lahm. Computerhacker sabotieren sensible Netze. Alles schon passiert. Und schon wandern meine Gedanken zu terroristischen Anschlägen.
Doch dann sage ich mir innerlich ein energisches „Stopp“. Raus aus dem Gedankenkarussell!
Ich beobachte die Menschen um mich herum. Ein Mit-Vierziger mit Anzug, Aktenkoffer und gegeltem Haar beschwert sich gerade, dass er nun wahrscheinlich zu spät zu seinem Termin in Köpenick kommt.
Doch die meisten Fahrgäste wirken erstaunlich gelassen. Die Lady, die mir schräg gegenüber sitzt, tippt eine Nachricht in ihr Handy und lächelt. Vielleicht schreibt sie ja gerade eine Twitter-Nachricht wie diese:
@Exordium_Berlin 27. Juni
Dank #Stromausfall müssen wir das Eis jetzt leider komplett auffuttern. Ohhh ... #adlershof
@francofurter 27. Juni #stromausfall in Berlin..das heisst wohl in 9 Monaten..schön
Ich habe Glück. Die Bahn zuckelt schließlich doch noch bis Berlin Spindlersfeld. Im Supermarkt am S-Bahnhof schnurren die Registrierkassen, so kann ich Möhren und Erdbeeren kaufen. Versorgung gesichert! „Wenn bei uns der Strom länger als drei Stunden wegbleibt, müssen wir die Waren aus den Tiefkühltruhen wegwerfen“, sagt die Kassiererin.
Mit dem Auto fahre ich weiter Richtung Südost. Am Schlossplatz stauen sich blinkend die Straßenbahnen. Auch hier sind die Ampeln erloschen.
Zu Hause angekommen, atme ich tief durch. Michael hat die rohen Kartoffeln vom Herd genommen. Aus dem Keller holt er den kleinen Spiritus-Campingkocher, der uns auf Korsikas Fernwanderweg begleitet hat, und kocht Kaffee. Wie der duftet! Ich trinke ihn langsam und mit Genuss wie etwas ganz Besonderes.
Inzwischen suchen Energiearbeiter fieberhaft nach einer Umschaltmöglichkeit. Nach knapp drei Stunden gehen die Lampen wieder an – lange vor Mitternacht.
Das Coole hinterm Stromausfall? Er hat mich an drei Dinge erinnert:
- DANKBARKEIT: Wie froh kann ich sein, dass die Infrastruktur unserer Stadt meist recht gut funktioniert. Wie oft nehme ich das gar nicht wahr und halte es für selbstverständlich.
- VERTRAUEN: Wenn doch mal etwas passiert, kann ich Vertrauen zu den Spezialisten haben, die sich auskennen und ihr Bestes tun. Mit etwas Geduld und Humor navigieren wir am besten durch eine Krise.
- GEDANKENKARUSSELL STOPPEN: Ich habe mich live dabei beobachtet, bei unangenehmen Ereignissen schnell in Problemdenken und Katastrophen-Szenarien abzudriften. Gut, dass ich das inzwischen merke und mit einem Stopp-Signal aus dem Gedankenkarussell aussteige.
Wie ist es bei Dir? Was hast Du erlebt, das zunächst unangenehm erschien, doch dem Du später positive Seiten abgewinnen konntest? Ich freue mich, wenn Du Dein Erlebnis in einem Kommentar mit uns teilst.
Gestern Jahrhundertsintflut! Ein Segen für die Natur (sie hat bei uns ganz öffentlich und laut aufgeatmet – und alles dankbar aufgenommen, was von oben kam …) und für der Großstadt der Ausnahmezustand (sie hat geächzt unter der Wasserlast, weil Weniges nur bereit war, sie aufzunehmen)! Wie sich die Ereignisse doch gleichen …
Ein supi Wochenende!
Wolfgang Schiele | Vorruhestandscoach | … und Wetterfreund
Ja, das passt. Auch Dir ein tolles Wochenende – mit oder ohne Starkregen.
Übrigens finde ich witzig, dass der 200. Kommentar auf unserem Blog gerade von Dir kommt :-).
Herzlichst Christine