Dr. Radomsky Coaching

dvct zertifizierter Coach

​Im Frühsommer 1925 schwebt ein Hauch von Flieder durch die geöffneten Fenster des Berliner Operncafés. Kaffeelöffel klirren, Lachen und Gesprächsfetzen fliegen durch den Raum. Bluma Zeigarnik, eine junge litauische Psychologin, rührt in ihrem Mokka. Während sie auf ihre Freundin wartet, lässt sie die Augen über die Menschen im Café streifen. Fast alle Tische sind besetzt; die Kellner haben alle Hände voll zu tun. Plötzlich fällt ihr etwas Merkwürdiges auf.

​Hat ein Kellner eine Bestellung aufgenommen, weiß er auch noch nach einiger Zeit noch ganz genau, wem er die Erdbeertorte, den Mohnkuchen oder den Eiskaffee servieren soll. Doch geht es schließlich ans Bezahlen, muss er seinen Notizblock befragen - so als wären die Bestellungen diese​r Gäste mittlerweile aus seinem Gehirn gelöscht.

​Bluma Zeigarnik schießt ein Gedanke durch den Kopf. Könnte es sein, dass unerledigte Handlungen besser im Gedächtnis haften als erledigte?

Cliffhanger im Selbstmanagement

​Dieser Hypothese fühlt ​die junge Psychologin ​an der Berliner Uni auf den Zahn​. Als sie zwei Jahre später mit dem Thema „Das Behalten erledigter und unerledigter Handlungen“ promoviert, wird Bluma Zeigarnik in der Fachwelt weltweit bekannt.

Unerledigte Handlungen bleiben besser im Gedächtnis haften als erledigte Handlungen (Zeigarnik-Effekt).

​Noch heute gehört der Zeigarnik-Effekt zum Repertoire der Psychologie. Allerdings hängt er von bestimmten Bedingungen ab​. ​

Entscheiden wir uns freiwillig, eine angefangene Handlung aufzugeben, vergessen wir sie ähnlich leicht wie eine abgeschlossene. In diesem Fall wirkt der Cliffhanger-Effekt also nicht. Doch lassen wir eine Handlung unvollendet, weil uns innere oder äußerer Hemmnisse bremsen, ​krallt sie sich in unser Gedächtnis.

Wie w​irkt ein Cliffhanger​?

​​​Kennst du den Begriff?

​​"Cliffhanger" ist eine Anspielung an das Stilmittel, eine Geschichte an einer spannenden Stelle zu unterbrechen, den Haupthelden quasi an einer "Klippe hängen“ zu lassen. ​Solche „unfertigen“ Geschichten bleiben uns im Gedächtnis. Weil wir gern erfahren möchten, ob der Held in den Abgrund stürzt oder gerettet wird, lesen wir auch den Folgeroman oder schalten bei der nächsten Episode wieder ein.

​Eine Kollegin von Bluma Zeigarnik entwickelte das Konzept weiter. Maria Ovsiankina entdeckte, dass wir uns nicht nur besser an unterbrochene Handlungen ERINNERN, sondern uns außerdem gedrängt fühlen, sie wieder aufzunehmen und zu ​BEENDEN.

Diesen Spannungsbogen, der ​uns zur Aktion drängt, erleben wir übrigens auch bei unliebsamen Aufgaben wie der Steuererklärung.  

Un​terbrochene Handlungen drängen dazu, sie wieder aufzunehmen und abzuschließen​ (Ovsiankina​-Effekt).

Cliffhanger​ ​als Energie-​Vampire

​​Stapeln sich manchmal ​​viele ange​arbeitete ​Dinge gleichzeitig auf deinem Schreibtisch? ​Das passiert mir ​ab und zu​, doch ich merke ​es schnell. Woran? Mir fällt​ dann schwer, mich auf eine Sache zu fokussieren, weil sich die anderen ​Themen unaufgefordert immer ​wieder in den ​Vordergrund meiner Gedanken ​drängen​. Das zehrt an meiner Energie. 

Cliffhanger-Tricks im Selbstmanagement

  • Vermeide parallele Cliffhanger und Multitasking

​Beende angefangene Aufgaben nach Möglichkeit, bevor du etwas Neues angehst. Damit setzt du die in der „alten“ Aufgabe gebundene Energie wieder frei.

Sind die Aufgaben zu groß für einen Tag, zerlege sie in H​äppchen.

  • Entsorge ​verstaubte Cliffhanger

​Ein Klient haderte auch nach Jahren noch damit, dass er einen bestimmten Job nicht antreten konnte, weil ​ihm eine Krankheit zusetzte. ​Erst als er dieses alte Vorhaben los​ließ, ​fand er eine Alternative​.

Gibt es vielleicht auch in deinem Leben ein längst verstaubtes Vorhaben, das dir Energie raubt? Wie würde es sich anfühlen, wenn du dich von ihm trennst?

  • ​Der erste Schritt: Nutze Cliffhanger bewusst

​Bei großen Vorhaben nicht alles „perfekt“ durchplanen, sondern den ersten Schritt gehen. Damit erzeugst du die Spannung, die dich zum Weitermachen drängt.

​Der Gegenpol: Wertschätzung für ​Abgeschlossenes

Doch was ist mit den abgeschlossenen ​​Handlungen, die wir nach Zeigarnik schnell wieder vergessen? ​Die polnisch-französische Physikerin Maria Skłodowska-Curie b​ringt es auf den Punkt:

"Man merkt nie, was schon getan wurde, man sieht immer nur, was noch zu tun bleibt." Maria Skłodowska-Curie

​​Ich kenne das gut. Manchmal fühle ich mich rastlos​, weil ich nur den Berg vor mir sehe. Meditation hilft, ein Erfolgstagebuch auch, doch am besten funktioniert für mich ein kleiner Trick.

​Und so haben Michael und ich haben uns angewöhnt, unser Planungs-Weekly mit einem kleinen Ritual zu starten. Dabei rufen wir uns noch einmal kurz die Dinge ins Gedächtnis, die wir in der letzten Woche ​geschafft haben. Meist ist das mehr als wir dachten. Sehr angenehm!

​Liebe Leserin, lieber Leser, wie gehst ​du mit Cliffhangern um, damit du deine Ziele leichter erreichst? Und welches kleine Ritual fällt dir ein, um Geschafftes wertschätzend zu würdigen - für dich allein, ​im ​​Team, Projekt oder d​er Familie?

Lass es dir gut gehen! ​

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Christine Radomsky


Christine hat Physik studiert, später Computerprogramme für blitzschnelle Züge entwickelt und schließlich als Coach Menschen dabei unterstützt, berufliche Veränderungen zu meistern.

Seit sie Oma ist, engagiert sie sich immer mehr für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder und Enkel auf dieser schönen, fragilen Erde.

Ihr Motto: Unterwegs von Ohnmacht zu AKTIVER HOFFNUNG. Für eine nachhaltige, gerechte und lebenswerte Welt.

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  1. Liebe Christine,

    vielen Dank für den – wie immer – sehr fundierten Beitrag!

    Die Strategie, nicht alles durchzuplanen, gewinnt hier, in Kombination mit dem ersten Schritt, nochmals eine schöne positive Ausrichtung.

    Das werde ich Zukunft bewusster einsetzen.

    Herzliche Grüße

    Maren – Raum für Euch

    1. Liebe Maren,
      ich freue mich sehr, dass dir der Blogartikel etwas gibt. Auch ich setze Cliffhanger neuerdings bewusster ein, weil sie auch das Unterbewusstsein mit ins Boot holen. Vielen herzlichen Dank auch für deine Unterstützung auf FB & Co. Michael und ich wünschen dir ein rundum gelungenes 2019 mit vielen angenehmen Überraschungen.
      Herzliche Grüße
      Christine

  2. Liebe Christine, ich kann mir lebhaft vorstellen, dass (2) bei Dir nicht vorkommt, bei mir aber schon. Ich plane nicht immer, vielleicht auch weil manches, was ich mache Neuland für mich ist und ich dann gar keine Idee habe, wie es gehen kann. Stattdessen vertraue ich oft darauf, dass mein Unterbewusstsein mich ans Ziel bringt, wenn ich es nur fest genug will und dem Ziel genügend Zeit und Kraft einräume. Erstaunlicherweise klappt das oft. Dabei entwickle ich den Plan dann erst später: der erste Schritt ist mal anzufangen. Nach dem ersten Schritt merke ich dann, dass ich nicht sehr weit gekommen bin. Innerlich formt sich dann vor dem nächsten Anlauf ein Plan und meist geht es dann schrittweise besser und wird auch besser planbar. Ich bewundere Menschen wie Dich, die so organisiert und messbar vorgehen, um Ihre Ziele zu erreichen, aber ich bin auch zufrieden mit der Art, wie ich an die Dinge herangehe. Ich habe mal gehört: die Gedanken formen sich beim Schreiben, so ist das bei mir mit dem Planen: es entsteht während ich etwas ausführe. Um noch ein Beispiel zu geben: letztes Jahr habe ich zum ersten Mal selbst unsere Steuer gemacht. Beim ersten Anlauf habe ich gemerkt, dass mir das Einfüllen der Zahlen gar nicht leicht fiel. Im zweiten Anlauf habe ich die letzte Steuer des Steuerberaters nachempfunden und dann auf die neuen Zahlen übertragen. Das ging dann besser. Erklärt Dir das, was ich bei (2) mit dem diffusen Rand gemeint habe? Es meint, dass ich nach dem ersten Schritt oft etwas frustriert erstmal aufhöre, weil es nicht geklappt hat. Dann wäre es gut einen Zettel zu schreiben, wie weit ich gekommen bin und die Ordner ordentlich wegzupacken, als einfach alles offen liegen zu lassen. Trotzdem hat der erste Schritt meist etwas gebracht: die Idee, wie ich vorgehen will formt sich oft erst langsam in den Tagen danach. Sobald ich sie habe, entdecke ich dann den nächsten Motivationsschub in mir, die Sache nochmal anzugehen. Verstehst Du das?

    1. Liebe Sabine, ja, das mit dem diffusen Rand habe ich jetzt verstanden. Mir wird jetzt auch klarer, wie du es mit der Planung, dem ersten Schritt und dem weiteren Tun hältst. Das klingt nach viel Flexibilität und danach, dass du deinem Unterbewusstsein viel Raum einräumst. Ich stelle mir vor, dass das genau die Vorgehensweise ist, die zu dir passt. Danke für deine Erklärung!
      Herzlichst
      Christine

  3. Hallo Christine, danke für Deinen Artikel. Für mich ist das immer ein grosses Thema, weil ich oft springe in den Themen, die ich gerade bearbeite, und dabei Felder entstehen, die nicht abgeschlossen sind und eben wie Du es beschreibst zu Energiefressern werden. Ich bin deshalb ständig dabei mein Arsenal von Werkzeugen weiterzuentwickeln, mit denen ich diesem Energiefresser-Problem begegnen kann. .

    Also nach dem Lesen Deines Artikels will ich noch folgende Dinge aus meinem persönlichen Erfahrungsschatz beitragen:

    1. Wenn ich etwas neues anfange frage ich mich heute: Wie wichtig ist es mir? Ist mein Ziel angemessen oder wird es höchstwahrscheinlich zum Energiefresser, weil es mir nicht wichtig genug ist, es zu beenden: z.B hier einen Kommentar zu diesem Thema zu schreiben ist angemessen und okay. Würde ich stattdessen einen Blogartikel dazu anfangen für irgendeinen zukünftigen Blog, den ich mal haben könnte, wäre es unangemessen und würde zu einem unfertigen Stück Arbeit, da es keinen wirklichen Grund gäbe, meine Gedanken zu Ende auszufeilen.

    2. Es ist gut nur einen Schritt zu tun. Manchmal gibt es aber einen diffusen Rand dieses Schritts: trotzdem schon während des Schritts an später denken: besser die Baustelle vor dem Auge des Betrachters verbergen oder wenigstens begrenzen, damit der Effekt, den Du so schön beschreibst, sich am Erfolg zu erfreuen, auch wirklich eintreten kann. Ausserdem dran denken, dass man bei der Wiederaufnahme vielleicht nicht mehr weiss, wo man stehen geblieben ist: es muss klar werden, was bereits geschafft ist.

    3. Was mir auch hilft ist die Unterscheidung zwischen „movement“ und „action“: „action“ ist etwas bleibendes, „movement“ dagegen eher eine Vorbereitende Bewegung, Sortieren etwa, Schreiben eines Artikels. „Action“ wäre dann das physische Entsorgen des Überflüssigen oder die Veröffentlichung des Artikels. Ich bemühe mich heute darum, dass jeder Schritt, den ich mache, möglichst auch eine Action enthält: besser eine kleine Action als ein grosses Movement.

    Mit herzlichen Grüssen aus Zürich und ein schönes Pfingstwochenende für Euch,
    Sabine

    1. Liebe Sabine,
      herzlichen Dank für deine wertvollen Ergänzungen.
      (1) Du fragst dich also, bevor du etwas Neues beginnst, wie wichtig dir dieses Ziel ist, damit es nicht zum Energiefresser wird. Ja – ganz unbedingt, so halte ich es auch.

      (3) Bei der Unterscheidung von „action“ und „movement“ habe ich erst mal gestutzt. Aber es stimmt, mit (nur) movement können wir ewig rotieren, ohne Resultate zu erzielen. „Besser eine kleine Action als ein grosses Movement“ – das ist ein toller Spruch, den ich mir merke. Danke!

      (2) Deine Gedanken zum diffusen Rand eines Schrittes habe ich nicht ganz verstanden. Vielleicht haben wir zum Thema „1. Schritt“ auch unterschiedliche Bilder im Hinterkopf? Ich dachte hier an ein (größeres und mir wichtiges) Ziel, über das ich vielleicht schon lange nachdenke. Auch die Grobplanung steht, aber ich laufe nicht los. Dann erzeugt der erste praktische Schritt genau die Energie und Spannung für mich, das Thema endlich anzugehen und nicht nur im Kopf hin- und herzubewegen. Diese Spannung hilft mir dabei, auch den zweiten Schritt zu gehen usw.. Welche Art von Baustellen meinst du hier?

      Herzliche Grüße aus Berlin nach Zürich und auch dir ein frohe Pfingsten!
      Christine

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