Die Politik hat die Corona-Maßnahmen gelockert. Wer mag, sitzt abends zu zweit beim Lieblings-Italiener und beißt herzhaft in die Pizza. Andere trauen sich wieder ins Fitness-Studio oder treffen sich mit Freunden. Schulen und KITAS öffnen ihre Türen, was vielen Familien eine Last von den Schultern nimmt. Auch in den Unternehmen, die viele ihrer Mitarbeitenden ins Home-Office geschickt haben, rührt sich etwas. Schritt für Schritt holen sie ihre Leute zurück in die Büros. Natürlich unter Vorsichtsmaßnahmen. Schließlich will niemand, dass das Virus wieder ungehemmt die Zähne zeigt.
Doch wird nun bald alles wieder wie früher? Und wäre das überhaupt sinnvoll? In diesem Beitrag erfährst du, welche sechs Fallen bei der Rückkehr ins Unternehmen auf dich lauern.

Alle wieder im Büro?
Falle 1: Zurück zu 100 % Präsenzkultur
Vielleicht würdest du das Home-Office am liebsten ganz hinter dir lassen - so schnell wie möglich. Denn die letzten Wochen haben an deinen Nerven gezehrt. Mühsam hast du Struktur in deinen Arbeitstag gebracht. Abends brennen die Augen von Bildschirmarbeit und Videokonferenzen. Dennoch findest du nur schwer ein Ende; der klare Feierabend fehlt dir.
Und so kommt es:
Je länger du isoliert zu Hause arbeitest, um so mehr verklärt sich das Bild, das du vom Arbeitsalltag im Unternehmen vor Corona hast.
Selbst Frau Meier, die ständig ein Haar in der Suppe findet und Herrn Schulze, der gern eigene Arbeiten bei anderen ablädt, hast du aus der Distanz fast lieb gewonnen. Ebenso deinen Chef, der nach dem Spruch führt „Nicht getadelt ist genug gelobt“. Auch er wartet schon ungeduldig darauf, euch bald alle wieder unter seinen Fittichen zu haben.
Falls du selbst Führungskraft bist, geht es dir vielleicht ähnlich. Wie viel einfacher würde alles wieder sein, wenn die Beschäftigten alle wieder unter einem Firmendach vereint sind. Also weg mit dem Home-Office?
Doch gute Gründe sprechen dafür, das Home-Office nicht einfach abzuhaken. Denn hast du nicht auch seine positiven Seiten erfahren?
Du konntest flexibler arbeiten. In konzentrierten Stunden schafftest du mehr als im Büro mit seinen vielen Ablenkungen. Digitale Tools – sinnvoll angewendet – halfen euch, besser zu kommunizieren als über die üblichen E-Mail-Fluten mit den riesigen Verteilern. Vielleicht hast du beim Improvisieren und Lernen von neuen Tools sogar ganz ungewohnte Stärken an dir und deinen Teammitgliedern entdeckt.
Nicht zu vergessen: Der alltägliche Verkehrs-Wahnsinn auf den Straßen ebbte ab, Städte wurden leiser und abgasfreier. Wenn du zu den vielen Pendlern gehörst, wirst du deinen täglichen Weg zur Arbeit im PKW oder ÖPV wohl kaum vermissen.
Stell dir vor, ihr seid alle wieder im Büro. Wieviel Tage Home Office pro Woche würden dir gut tun?
Falle 2: Zurück zum Mikromanagement
In vielen Unternehmen herrscht immer noch ein Führungsstil aus dem Industriezeitalter, genannt Anweisung & Kontrolle (Englisch: Command & Control). Woran erkennst du ihn?
Natürlich nicht aus bösem Willen, sondern aus Gewohnheit: Schließlich hat sich dieser Führungsstil seit Henry Fords erster Autofabrik 1901 jahrzehntelang bewährt. Zumindest solange, wie Wissen/ Steuern (Manager) und Ausführen (Arbeiter) noch klar getrennt waren.
Und so haben viele Führungskräfte auch heute noch ein Menschenbild aus der Bismarck-Zeit im Hinterkopf:
Menschen sind in der Regel bequem. Deshalb müssen sie mit Karotte und Peitsche zum Arbeiten motiviert werden.
Dieses Bild voller Misstrauen regt sie zu übermäßiger Kontrolle an. Was in Zeiten von Home-Office eher nicht funktioniert, denn Chefin oder Chef können die Mitarbeitenden nicht spontan zum Rapport rufen. Dieser Kontrollverlust hat viele Führungskräfte verunsichert.
Zum Glück gibt es auch andere Führungskräfte, die eher mit Vertrauen führen. Dabei geben sie ihren Mitarbeitenden vor allem Orientierung, einen sicheren Rahmen für selbstorganisierte Teamarbeit und individuelle Unterstützung. So geführt, bringen die meisten gern ihre Ideen und Stärken ein.
Dennoch ist die Gefahr groß, dass Anweisung & Kontrolle oder gar Mikromanagement verlorenes Terrain zurückerobern, wenn die Menschen wieder täglich in die Büros kommen.
Doch gerade Wissensarbeiter wissen und können heute auf ihren Spezialgebieten mehr als ihre Chefs. Deshalb bringt es mehr, ihnen Verantwortung für Problemlösungen zu übertragen und sie auf Augenhöhe an Entscheidungen zu beteiligen.
Die Wissensgesellschaft braucht und ermöglicht Führung mit Vertrauen. Sie setzt auf ein anderes Menschenbild:
Menschen wollen in der Regel arbeiten und zum gemeinsamen Ganzen beitragen.
Wie könnte sich euer Team und Unternehmen wandeln, wenn Vertrauen stärker zum Fundament der Arbeit würde?
Falle 3: Zurück zur Abhängigkeit
Klar, in einem Unternehmen bist du in Strukturen, Regeln und Weisungen eingebunden. Doch das ist nur die eine Seite. Denn die moderne Arbeitswelt braucht neben Führungskräften, die mit Vertrauen führen, auch Mitarbeitende, die selbstverantwortlich(er) arbeiten. Die gute Nachricht: In der Corona-Krise haben viele Menschen gelernt, mehr Selbstverantwortung für ihre Arbeitsorganisation zu übernehmen als je zuvor.
Im Home-Office haben viele stärker als sonst Prioritäten gesetzt. Sie haben auch mal „Nein“ gesagt und gewohnte Dinge nicht getan, wenn diese wenig Wert schaffen. Dafür haben sie Wesentliches erledigt, auf ihre Weise. Sonst stille Menschen haben Ideen eingebracht, die kaum jemand von ihnen erwartet hatte.
Und nun – werden jetzt viele genau wie früher ihre Selbstverantwortung wieder am Firmentor abgeben? Erwarten, dass die „Vorgesetzten“ ihnen schon sagen, wo es lang geht?
Oder bewahren sie sich ein Stück Freiheit und Autonomie und gestalten ihre Arbeit und die ihres Teams aktiver mit?
Welche Freiräume für Selbstverantwortung haben dir im Home-Office gut getan?
Falle 4: Zurück zu den alten Prozessen
Wenn du in einer großen Organisation arbeitest - einem Konzern, einer Bildungseinrichtung oder Verwaltung - kennst du sie: Die schwerfälligen Prozesse, in denen sich jeder Beteiligte nur als winziges Zahnrad fühlt. So manche innovative Idee ist schon an diesen „heiligen Kühen“ abgeprallt. Nicht zu reden von Begeisterung und Gestaltungslust, die in diesem Umfeld verkümmern.
Über Jahre wuchs ein Dickicht von Regeln und Vorschriften. Das soll Solidität und Qualität sicherstellen, sorgt jedoch für immer längere Bearbeitungswege und -zeiten. Wer in einem größeren Unternehmen ein Investitionsprojekt anstößt oder privat eine Baugenehmigung benötigt, erlebt das schmerzhaft. Der Knackpunkt:
Die Schwerfälligkeit verstaubter Prozesse passt schon längst nicht mehr zu unserer schnell veränderlichen und zunehmend digitalen Welt.
Dennoch hält sie sich in vielen Organisationen hartnäckig. Kaum jemand fragt, wie man Abläufe radikal vereinfachen und beschleunigen könnte.
Doch welch Wunder: In der Corona-Krise zeigen engagierte und mutige Menschen, wie das geht. Flugs widmeten Verkehrsämter der Großstädte einen Teil des Asphaltdschungels in Fahrradwege um. Auf dem Berliner Messegelände entstand in wenigen Wochen ein Corona-Reserve-Krankenhaus mit 500 Betten. Kliniken und Unternehmen bauten in Rekordzeit ihre digitale Infrastruktur massiv aus. Schulen, an denen bisher nur analog unterrichtetet und gelernt wurde, entdeckten die Möglichkeiten digitaler Lernplattformen.
Für all das das hätte es vor Corona jahrelange Vorlaufzeit gebraucht. Oft wurde mehr nach Problemen als nach Lösungen gesucht und die Verantwortung von einer Stelle zur anderen geschoben. Und so verzögerten sich Projekte jahrelang - wie die digitale Gesundheitsakte oder die Digitalisierung von Schulen und Verwaltungen. Doch die Krise macht erfinderisch.
Welche Abläufe habt ihr während der Zeit im Home-Office vereinfacht? Von welchen „heiligen Kühen“ würdest du dich gern in Zukunft trennen?
Falle 5: Zurück zur Fehlerscheu
Was hält eigentlich so viele Unternehmen davon ab, mit Neuem zu experimentieren? Seien es innovative Produkte, digitale Geschäftsprozesse oder mehr Freiraum für die Beschäftigten. Die Trägheit allein erklärt das jedenfalls nicht.
In vielen traditionellen Organisationen regiert die Angst davor, Fehler zu machen. Deshalb halten Unternehmen und die Menschen in ihnen lieber am Bewährten fest, auch wenn das nicht mehr zu den neuen Herausforderungen passt.
Deutsche Autokonzerne setzten immer noch vorwiegend auf den Verbrennungsmotor, während Tesla und Co. die Zukunftstechnologie der Elektromobilität erschließen. Traditionelle kleine und mittelständische Unternehmen halten an ihrer herkömmlichen Produktpalette fest, während Start-ups und globale Plattformen längst mit digitalen Produkten und Dienstleistungen am Markt sind.
Und obwohl mancherorts bereits selbstorganisierte Teams mit agilen Arbeitsweisen und digitaler Kollaboration arbeiten, baut die Mehrzahl der deutschen Unternehmen auf traditionelle Arbeitsweisen.
Denn die Angst vor Fehlern sitzt vielen Unternehmen, Führungskräften und Angestellten im Nacken.
Und so werden Fehler nicht als normale Entwicklungserscheinungen gesehen, sondern als etwas, was um jeden Preis zu vermeiden ist.
Doch Corona hat die ungesunde „Fehlerkultur“ vieler Unternehmen zumindest vorübergehend außer Kraft gesetzt. In der Krise experimentierten viele Menschen. Auch auf das Risiko hin, Fehler zu machen und eine Bauchlandung hinzulegen. Manche Unternehmen lehnten sich mit originellen Ideen weit aus dem Fenster.
Wie der Erlebnisbauernhof in Hürth, der in die tiefroten Zahlen rutschte, weil plötzlich niemand mehr zu den Tieren kam. Kurz entschlossen erfand das Team einen innovativen digitalen Service, bei dem Lama, Yak oder Esel Videokonferenzen „besuchen“. „Call a Lama“ zauberte vielen Gestressten im Home-Office ein breites Lächeln auf die Lippen.
Wie kannst du dir den Mut, Neues zu wagen und dabei Fehler zu riskieren, ein Stück weit bewahren?
Falle 6: Zurück zur digitalen Abstinenz
Klar – Kommunikation per Videokonferenz und der ganze Tag am Computer strengen an. Wie angenehm wird es sein, wieder durch die Büros zu gehen. Ein schwieriges Thema in einem persönlichen Gespräch zu klären und anschließend gemeinsam einen Kaffee trinken. Oder mit dem Team am Flipchart Ideen zu entwickeln, über einen Witz lachen. Ganz analog, Auge in Auge.
Corona hat viele Unternehmen, Schulen und Verwaltungen in einem Salto in die digitale Welt katapultiert. Die Lernkurve für Beschäftigte wie Organisationen war steil. Auch wenn es noch vielerorts knirscht, weil die alten Abläufe nicht zu den neuen Tools passen oder die Infrastruktur zeitweilig in die Knie ging. Erstaunlich viel funktionierte, manches sogar besser als vorher.
Das Wichtigste aber ist: Hundertausende haben sich in wenigen Wochen digitale Fähigkeiten angeeignet – vor allem durch Ausprobieren. Ganz pragmatisch, ohne Bildungsplan und Seminar.
Sogar Menschen, die sonst wenig Lust zur Weiterbildung verspüren, haben erlebt: Der Digitalkram ist kein Hexenwerk, ich kann ihn erlernen.
Und im besten Fall haben sie sogar an einigen Dingen Gefallen gefunden.
Was passiert, wenn nun viele an ihren gewohnten Arbeitsplatz zurückkehren? Geben sie sich damit zufrieden, jetzt mit Zoom, Office 365, Webex oder Slack umgehen zu können? Oder möchten sie gar die neuen Methoden und Technologien am liebsten ganz hinter sich lassen, weil sie sich noch anstrengend anfühlen? Wollen sie möglichst schnell zurück zur alten Normalität?
Doch die neue Normalität verlangt ständiges Lernen.
Denn für Herausforderungen wie die herannahende Rezession, die digitale Transformation und die Klimakrise brauchen wir schnelle, innovative Lösungen. Deshalb müssen wir anders arbeiten als früher – flexibel, kreativ, vernetzt, digital fit und experimentierfreudig.
Zwar sind Home-Office und digitale Tools allein noch kein neues Arbeiten, aber immerhin ein Anfang. Es gibt noch so unendlich viel zu lernen und auszuprobieren in Sachen Digitalisierung und neuem Arbeiten.
Wer seine Beschäftigungsfähigkeit sichern und ausbauen will, stärkt auch in Zukunft seine „Lernmuskeln“ und seine digitale Fitness.
Wie könntest du den Lern-Schwung aus der Krisenzeit mit in die Zukunft zu nehmen? Was von dem, das dir in den letzten Wochen an Neuem begegnet ist, möchtest du vertiefen?
Pass auf dich auf und lass es dir gut gehen.
Herzlichst
