Dienstag 14:01. Klack. Wie von Geisterhand verschwindet der Text vom Monitor, das Bullern der Heizung verstummt. „Was ist los?“ „Keine Ahnung!“. Michael checkt Licht, Telefon und WLAN – alles tot.
Ich schalte die Datenverbindung meines Smartphones über das Funknetz ein und suche auf Twitter nach #stromausfall. Eine Sanduhr erscheint, dann eine Fehlermeldung. WhatsApp und Mobiltelefon funktionieren auch nicht.
Immerhin scheint die Funknetz-Verbindung zu tröpfeln, irgendwann kommt eine SMS unseres Sohnes durch: Großflächiger Stromausfall in Berlin Köpenick und angrenzenden Stadtbezirken. Der Stromversorger sucht fieberhaft nach der Ursache.
Was die mehr als 80.000 Betroffenen zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen: Wir erleben gerade den bisher schwerwiegendsten Stromausfall in Berlin seit den Nachkriegsjahren.
Was hat ihn verursacht?
Blackout Tag 1
Viel später erfahren wir: Bei einer Horizontalbohrung an einer Brücken-Baustelle wurden zwei 110 kV-Leitungen zerfetzt.
Was macht der Blackout mit den Menschen und ihrer gewohnten Lebenswelt?
In 30.000 Haushalten und 2000 Gewerbebetrieben erlöschen Lampen, stehen Computer, Kühltruhen, Herde, Maschinen und viele Heizungen still. In den Hochhäusern der Allende-Siedlung versiegt das Wasser in den oberen Etagen.
Ampeln fallen aus, Straßenbahnen stehen still, die S-Bahn rauscht ohne Halt durch den stromlosen Bahnhof Grünau. Tankstellen stellen den Betrieb ein. Das Krankenhaus Köpenick schaltet auf Notstrom-Aggregat und schließt die Notaufnahme.
Wie kommen die Menschen in Pflegeheimen, KITAs und Schulen über die Runden?
Für uns ist es zunächst nur eine ungewohnte Auszeit inklusive digitalem Detox.
Eigentlich wollte ich an meinem Buch arbeiten, doch ich will nicht riskieren, den Akku des Laptops auf null zu fahren. Deshalb schnappe ich mir Papier und Stift und entwerfe ein Mindmap für einen Impulsvortrag. Statt wie geplant unsere Website auf Cyber-Angriffe zu überprüfen, liest Michael ein Buch.
Alles gut also? Langsam kühlt das Haus aus, es wird dunkel. Hunger haben wir auch. Mich beschleicht ein unheimliches Gefühl – wie lange soll das noch dauern? Richten wir uns also lieber auf eine längere Auszeit ein.
Wir holen Kerzen, Taschenlampen und den Spiritus-Campingkocher aus dem Keller. Welch Wunder - Michael findet noch eine volle Flasche mit Spiritus. Tee und Kaffee können wir uns also brühen, und aus einer Probepackung zaubert mein Liebster sogar eine dampfende Instantsuppe.
Am Abend zünden wir Kerzen an und wickeln wir uns dicke Decken. Auch in den Häusern der Nachbarn sehen wir Lichtpünktchen. Fast romantisch.
Das Funknetz ist so schwach, dass uns nur sporadisch eine Nachricht erreicht. Immerhin können wir ab und an eine gute alte SMS mit unseren Söhnen austauschen – stark zeitverzögert. Beide wohnen außerhalb der Blackout-Zone und bieten uns ihre Hilfe an. Zur Not könnten wir beim Älteren sogar übernachten. Ich bin gerührt.
Michael schaltet sein Mini-Radio mit Batteriebetrieb an. Wir reden ein bisschen, dann hören wir eine gespeicherte Podcast-Folge. Die Powerbank ist noch gut gefüllt, aber wer weiß, wie lange wir sie noch brauchen.
Später hören wir die ernüchternde Nachricht: Die Reparatur wird auch heute Nacht nicht abgeschlossen werden, sie ist komplizierter als gedacht. Gegen 20:00 Uhr kuscheln wir uns ungewöhnlich früh in die Betten und hoffen das Beste. Nicht nur im Haus, sondern auch draußen ist es ungewöhnlich still.
Blackout Tag 2
Am Morgen zeigt das Thermometer im Bad noch 17 Grad. Das eiskalte Wasser perlt auf der Haut, ich erinnere mich an den Camping-Urlaub in früheren Jahren. Wenigstens funktioniert die Wasserversorgung – wie gut. Nach dem Frühstück ziehen wir uns warm an und laufen zwei Kilometer in den Ortskern unserer Stadtrandsiedlung.
Ein scharfer Vor-Frühlingswind pfeift um die Häuser und zaust die Baumwipfel, doch der schnelle Schritt heizt uns ein. Die Schule liegt verlassen, am Tor wedelt eine Mitteilung des Stromversorgers. Die beiden Supermärkte und ihre Bäckerei-Abteilungen haben geschlossen, die Arztpraxis und das Restaurant auch.
Dagegen lädt der vietnamesische Blumenhändler zum Blumenkauf ein. Zwar sind Hyazinthen, Primeln oder Osterglocken nicht das, was wir gerade brauchen, doch die Farbtupfen heben meine Stimmung.
Gleich nebenan wartet die Überraschung: Der kleine Bäckerladen neben der Kirche hat geöffnet. Als uns die Bäckerin ein Dinkelbrot und sechs Körnerbrötchen verkauft, addiert sie die Preise mit Zettel und Stift. Warum geht das eigentlich im Supermarkt nicht? Und was wird mit den Waren geschehen, die in den Kühlfächern gerade antauen?
200 Meter weiter steht ein Mann im blauen Overall und Windjacke neben seinem Lieferwagen. Wie jeden Mittwoch bietet er an seinem improvisierten Stand Äpfel, Spreewaldgurken und Eier vom Bauernhof an. Ich kaufe ein paar Äpfel und starte ein Gespräch, doch der Mann zieht die Augenbrauen zusammen und knurrt.
Am zweiten Abend des Blackouts ist es draußen fast gespenstisch. Die Laternen stehen wie finstere Stelen, nur selten wischt das Licht eines Autoscheinwerfers über die Straße. In den Fenstern der Häuser leuchten ein paar Kerzen - wie bei uns.
An der Haustür klopft jemand. Die Nachbarn fragen, ob wir heißes Wasser brauchen, denn im Unterschied zu uns haben sie einen Gasherd. Wir kommen mit unserem Spirituskocher klar, aber die freundliche Geste wärmt das Herz.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung. - Martin Buber
Der Spuk ist vorbei
Es ist Mittwoch 21:05, als der der Kühlschrank wieder anspringt. Eine blaue LED zeigt an, dass der WLAN Router neu bootet. Ich sprinte zum Lichtschalter - wunderbar!
Wir fallen einander um den Hals. Michael programmiert die Heizung im Keller neu, ich den E-Herd und die Mikrowelle. Das vertraute Bullern der Heizung lässt mich lächeln. Weil das Wasser noch kalt ist, muss die warme Dusche noch bis morgen warten, aber das können wir jetzt auch ab.
Diese 31 Stunden haben mich nachdenklich gemacht. Wie fragil ist doch unser komfortabler Alltag. Licht, Wärme, Wasser, Transport, Lebensmittel... Wie sehr sind wir an Dinge gewöhnt, die in anderen Teilen der Welt nur für wenige erschwinglich sind. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns wieder etwas mehr auf die einfachen Dinge des Lebens und unsere eigene Kraft besinnen.
Wenn diese Stunden für mich etwas Gutes hatte, dann vielleicht das: Ich kann diese so alltäglichen Dinge jetzt wieder mehr schätzen. Und ich bin vielen Menschen dankbar:
Liebe Leserin, lieber Leser, hast du schon einmal einen längeren Blackout erlebt? Was würdest du in einem solchen Fall tun? Mit wem würdest du dich verbinden und wie?