So geht es nicht weiter, sagt eine innere Stimme. Fröstelnd hat Paul seine Hände in der Jacke vergraben. Er steht leicht vorgeneigt, den Nacken angespannt. Doch er fühlt es nicht.
Wenn Dich „mehr desselben“ ausbremst
Seit vielen Jahren leitet Paul Projekte. Als alter Hase weiß er, wie man das macht. Arbeitspakete, Kosten und Budget planen, Risiko abschätzen, Entwickler beauftragen, Projekt überwachen. Meilensteine einhalten, der Firmenleitung berichten.
Vor kurzem hat er mit seiner Mannschaft wieder ein Projekt gestemmt, wie üblich mit viel Hektik auf der Zielgeraden. Doch als das Projektteam diesen Erfolg feiert, kann sich Paul nicht richtig freuen.
Was ist sein Problem? Der Berg seiner Aufgaben wächst von Jahr zu Jahr. Für manches braucht er jetzt länger als noch vor wenigen Jahren. Paul fürchtet, seine Arbeit nicht mehr zu schaffen.
Im Coaching frage ich ihn, was er bisher unternommen hat, um sein Problem zu lösen.
„Ich habe immer härter gearbeitet. Meine Methoden perfektioniert, die Projektteams immer genauer kontrolliert. Immer mehr Überstunden gemacht, auch am Sonntag noch gearbeitet.“
Paul hat also immer mehr von dem getan, was er schon immer gemacht hat.
Hat es funktioniert? Nein. Im Gegenteil: Paul fühlt sich ausgepowert, seine Batterien sind leer. Er fürchtet sogar, in den Burnout zu gleiten.
So sehr wünscht er sich, wieder Schwung und Energie zu spüren. Nach der Arbeit loslassen, mal wieder von Herzen lachen.
Und was gab es, das funktioniert hat?
Paul erzählt von seiner Vertreterin, die das Projekt während seines Urlaubs geleitet hat. Nach dem Urlaub war Paul entspannter und fand, dass die Kollegin einen guten Job gemacht hat. Sicher war einiges anders gelaufen als gewohnt, doch das Ergebnis war in Ordnung.
Experimentiere mit dem Ungewohnten
Gerade wenn man glaubt etwas ganz sicher zu wissen, muss man sich um eine andere Perspektive bemühen. (Aus dem Film „Der Club der toten Dichter“)
Besonders Menschen, die jahrelang Erfolg haben, sind in Gefahr, ihre Stärken und bisher bewährte Methoden zu übertreiben.
Eine von Pauls Stärken ist, Menschen klar und strukturiert zu sagen, wo es lang geht. Damit war er jahrelang erfolgreich. Die entsprechenden Denkmuster und Verhaltensweisen sind wie Datenautobahnen tief in sein Gehirn eingraviert. Paul ist zutiefst überzeugt, dass sie richtig sind.
Doch was ist, wenn sich das Umfeld verändert hat? Projekte werden immer kurzlebiger. Viele Mitarbeiter sind von sich aus motiviert, Verantwortung zu übernehmen. Dafür brauchen sie mehr Freiräume von ihren Führungskräften.
Kann es sein, dass andere Methoden heute schneller und besser zum Ziel führen? Von agiler Projektentwicklung hat Paul gehört, doch zu ihm und dem Unternehmen passe das nicht, sagt er.
Doch fangen wir beim Naheliegenden an. Was wäre, wenn Paul mehr delegierte und weniger kontrollierte?
Für Dich klingt das vielleicht trivial. Doch für Paul bedeutet das eine drastische Änderung im Verhalten und im eigenen Selbstverständnis. Eine solche Veränderung braucht Zeit und viele kleine Schritte.
Als Erstes bittet Paul seine Vertreterin, das nächste Projektreview vorzubereiten. Das hat schließlich schon mal funktioniert.
Lösungsorientierte Beratung: Lösungen finden statt Probleme analysieren
Der Amerikaner Steve de Shazer und die Koreanerin Insoo Kim Berg entwickelten vor mehr als dreißig Jahren die lösungsorientierte Kurzzeittherapie [1]. Auch wenn Coaching keine Therapie ist, wenden wir wie viele Kollegen Elemente daraus an.
Lösungsorientierte Beratung [2] kann sehr wirkungsvoll sein, weil sie stärker auf Ressourcen des Klienten und Handeln in kleinen Schritten orientiert als auf zeitintensive (und manchmal folgenlose) Selbstreflexion.
Wie klingt das für Dich?
Wir müssen das Problem nicht analysieren, um eine Lösung zu finden. In Ausnahmen vom Problem entdecken wir mögliche Lösungen. (Nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg)
Kennst Du das? Manchmal glauben wir festzustecken. Es kann sich anfühlen wie Treibsand. Je hektischer wir strampeln, desto tiefer sinken wir ein.
Doch vielleicht liegt eine unscheinbare Planke in Reichweite, die uns hilft, uns selbst zu befreien? Wenn ich selbst feststecke, lasse ich mich – ebenso wie Paul – gern von Steve de Shazer und Kim Berg inspirieren:
Wenn etwas funktioniert, dann tu mehr davon.
Wenn etwas nicht funktioniert, dann tue etwas ganz anderes.
Quelle:
[1] Gerhard Seidenstücker, Thomas Wehr, 2006: Lösungsorientierte Kurztherapie (PDF).
[2] Günter G. Bamberger, 2005: Lösungsorientierte Beratung: Praxishandbuch
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